Bettler 01 - Bettler in Spanien
Scanner gebeugt hat – und die damit die letzte Person war, die das tat –, irgendwann zwischen dem Zeitpunkt, als Doktor Herlinger an diesem Morgen von zu Hause wegfuhr und dem Todeszeitpunkt um neun Uhr zweiunddreißig am selben Morgen. Es war somit eine Schlaflose, die sich an dem Motorroller zu schaffen gemacht hat.«
»Einspruch!« rief Sandaleros. »Eine unzulässige Schlußfolgerung, die der Zeugin in den Mund gelegt wird!«
»Zurückgezogen«, sagte Hossack. Er schwieg wieder, und wieder zog die bedeutungsschwangere, angespannte Natur seines Schweigens alle Augen auf seine Person. Dann wiederholte er langsam: »Eine Schlaflosennetzhaut. Eine Schlaflosennetzhaut.« Und erst dann sagte er: »Keine weiteren Fragen.«
Sandaleros ging mit äußerster Brutalität an die Netzhautbilder heran. Verflüchtigt hatte sich die leicht verlegene Zurückhaltung seiner einleitenden Erklärung. »Miss Kassabian, wie viele Netzhautbilder von Schlaflosen befinden sich im Archiv des polizeibehördlichen Erkennungsnetzes der Vereinigten Staaten?«
»Einhundertdreiunddreißig.«
»Nur einhundertdreiunddreißig? Aus einer Population von über zwanzigtausend?«
»Ganz richtig«, sagte Ellen Kassabian, und aus der kaum erkennbaren Verlagerung ihres Gewichts von einer Seite des Zeugenstuhles zur anderen konnte Leisha zum erstenmal den Schluß ziehen, daß Miss Kassabian Schlaflose nicht mochte.
»Das erscheint mir eine sehr geringe Zahl«, wunderte sich Sandaleros. »Sagen Sie mir bitte, unter welchen Umständen das Netzhautbild einer Person in das Archiv der Polizeibehörde Eingang findet?«
»Wenn sie zur Festnahme vorgemerkt wird.«
»Nur dann?«
»Oder wenn sie Teil des Gesetzesvollzugs selbst ist. Polizeipersonal, Richter, Gefängniswärter. In dieser Art.«
»Auch Rechtsanwälte?«
»Ja.«
»Könnte man also sagen, daß aus diesem Grund Leisha Camdens Netzhautbild für eine Überprüfung zur Verfügung stand?«
»Ja.«
»Miss Kassabian, welcher Prozentsatz dieser einhundertdreiunddreißig Netzhautbilder von Schlaflosen sind Personen aus dem Gesetzesvollzug zuzuordnen?«
Kassabian war sichtlich nicht erfreut, diese Frage beantworten zu müssen. »Achtzig Prozent.«
»Achtzig? Sie wollen damit sagen, daß nur zwanzig Prozent von diesen einhundertdreiunddreißig Leuten – siebenundzwanzig Personen – in den neun Jahren, seit Netzhautbilder archiviert werden, festgenommen wurden?«
»Ja«, sagte Kassabian allzu emotionslos.
»Kennen Sie die Gründe für diese Festnahmen?«
»Drei wegen ordnungswidrigem Verhalten, zwei wegen Kleindiebstahls, zweiundzwanzig wegen öffentlicher Ruhestörung.«
»Es hat also den Anschein«, stellte Sandaleros trocken fest, »daß die Schlaflosen ein recht gesetzestreuer Personenkreis sind, nicht wahr, Miss Kassabian?«
»Ja.«
»Eigentlich hat es, wenn die Anzahl der Netzhautarchivierungen irgendeinen Schluß zuläßt, sogar den Anschein, daß das verbreitetste Verbrechen unter den Schlaflosen jenes ihrer simplen Existenz ist, durch das die öffentliche Ruhe erheblich gestört wird.«
»Einspruch!« rief Hossack.
»Stattgegeben. Mister Sandaleros, haben Sie noch Fragen, welche auf Miss Kassabians Vernehmung als Sachverständige Bezug haben?«
Und doch, dachte Leisha, hatte Deepford die Einbringung der Netzhautstatistik zugelassen, obwohl sie nicht in der Beweisliste und nur am Rande relevant war.
»Allerdings«, sagte Sandaleros mit Nachdruck. Seine ganze Persönlichkeit hatte sich verändert; er erschien mit einemmal größer von Gestalt, leidenschaftlicher – heimtückischer. Genau wie er es vorhin bei den Geschworenen getan hatte, rückte er jetzt dichter an die forensische Sachverständige heran. »Miss Kassabian, kann von einer außenstehenden Person in einen Netzhautscanner ein fremdes Netzhautbild eingegeben werden?«
»Nein. Genausowenig wie eine außenstehende Person etwa Ihren Fingerabdruck auf einer Pistole hinterlassen kann, wenn Sie nicht anwesend sind.«
»Aber ein Außenstehender könnte eine Pistole mit meinen Fingerabdrücken gegen eine mit fremden Fingerabdrücken austauschen. Könnte ein Scanner mit bereits eingegebenen Netzhautbildern gegen einen anderen Scanner ausgetauscht werden, wenn die Person, die den Austausch vornimmt, ihr Gesicht dabei stets vom Scanner abgewendet hält?«
»Nun…, das wäre sehr schwierig. Scanner werden durch Sicherheitsvorkehrungen geschützt, die…«
»Wäre es möglich?«
Widerwillig sagte Miss Kassabian: »Nur von
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