Bettler 01 - Bettler in Spanien
durchdachten gesetzwidrigen Komplotts ist, das von Sanctuary geplant und ausgeführt werden sollte. Wir werden weiters beweisen, daß die einzige Person, die dieses Komplott gelenkt und geleitet haben kann, Jennifer Sharifi ist, Urheberin und Oberkommandierende diverser illegaler Netzwerke der Macht, die selbst vor einer Infiltration des bundesweiten Bankensystems und der staatlichen Datenspeicher nicht haltmachten – ein Vorwurf von solcher Tragweite, daß gegenwärtig ein spezielles Expertenteam des Justizministeriums der Vereinigten Staaten damit befaßt ist…«
»Einspruch!« rief Will Sandaleros.
»Mister Hossack«, sagte der Richter, »Ihre Ausführungen bewegen sich deutlich über den Umfang einer einleitenden Erklärung hinaus. Die Geschworenen werden in diesem Mordprozeß alle Bemerkungen ignorieren, die sich auf parallele Ermittlungen beziehen.«
Die Geschworenen starrten alle Jennifer an, die in ihrer weißen Abajeh hochaufgerichtet hinter kugelsicherem Glas saß. Das Wort ›Macht‹ hing in der Luft wie eine hochexplosive Ladung. Jennifer sah nicht rechts noch links.
»Miss Sharifis Ziel war es«, fuhr Hassock fort, »gewisse Patente zu unterschlagen, die im Falle einer Weiterentwicklung und Vermarktung Schläfern erlauben würden, zu Schlaflosen zu werden – mit den gleichen biologischen Vorteilen, wie sie ihnen selbst zur Verfügung stehen. Sanctuary will nicht, daß auch wir – Sie und ich – diese Vorteile besitzen. Und um das zu verhindern, schreckte Sanctuary unter der Leitung von Jennifer Sharifi auch vor kaltblütigem Mord nicht zurück.«
Leisha musterte die Geschworenen. Sie schienen aufmerksam zuzuhören, aber ihre starren Schläfergesichter verrieten nichts weiter.
Im Gegensatz zu Hossack packte Will Sandaleros seine einleitende Erklärung zurückhaltend an. »Ich kann nicht umhin zuzugeben, daß die vorgebrachten Argumente der Staatsanwaltschaft zu diesem Rechtsfall schwer zu widerlegen sind«, begann er. Sein männlich-schönes, scharf geschnittenes Gesicht – seine Schläfer-Eltern, von denen er verstoßen worden war, hatten viel Geld in die gentechnische Perfektionierung seines Äußeren gesteckt – wirkte eine Spur verlegen. Kein Schlafloser, das war Leisha völlig klar, durfte sich erlauben, einer Geschworenenbank mit einer Miene gegenüberzutreten, die auch nur annähernd als arrogant ausgelegt werden konnte. Sie beugte sich vor, ignorierte die unvermeidlichen neugierigen Glotzer, die sie daraufhin anstarrten, und betrachtete Sandaleros eingehend. Er sah konzentriert und sehr schlagkräftig aus. Er sah kompetent aus.
»Tatsache ist jedoch«, fuhr Sandaleros fort, »daß hier nichts zu widerlegen ist. Es gibt keinen Rechtsfall. Jennifer Sharifi ist unschuldig; wie ich noch aufzeigen werde, verfügt der Staatsanwalt über keinerlei konkrete Beweise, die Jennifer Sharifi oder das Kollektiv Sanctuary als juristische Person mit der Beschädigung des Motorrollers des Ermordeten, mit einer Streitsache um gewisse Patente oder mit einem Mordkomplott in irgendeinen wie auch immer gearteten Zusammenhang bringen könnten. Die Staatsanwaltschaft verfügt, meine Damen und Herren Geschworenen, über eine dünne Suppe aus Einzelereignissen, Hörensagen und konstruierten Zusammenhängen. Und über noch etwas.«
Sandaleros trat näher an die Geschworenenbank heran, weitaus näher, als Leisha sich je selbst herangewagt hätte, und beugte sich noch dazu vor. Eine Frau in der ersten Reihe zuckte ein wenig ängstlich zurück. »Worüber die Staatsanwaltschaft noch verfügt, meine Damen und Herren Geschworenen, ist eine dickere Suppe – viel dicker als jene des Beweismaterials – aus Unterstellungen, Vorurteilen und unhaltbaren künstlich hergestellten Berührungspunkten, eine Suppe, kurz gesagt, aus Feindseligkeit und Mißtrauen gegen Miss Sharifi, aus dem einzigen Grund, weil sie eine Schlaflose ist.«
»Einspruch!« rief Hossack.
Sandaleros donnerte weiter, als hätte er es nicht gehört. »Ich sage das, um jenen Punkt ans Licht zu bringen, um den es in diesem Prozeß in Wahrheit geht, damit wir alle ihn sehen und erkennen können. Jennifer Sharifi ist eine Schlaflose. Ich bin ein Schlafloser…«
»Einspruch!« rief Hossack wieder, diesmal mit echter Empörung in der Stimme. »Der Herr Verteidiger macht den Versuch, hier über den Ankläger zu Gericht sitzen zu lassen! Das Gesetz macht bei der Verübung eines Verbrechens keinen Unterschied zwischen Schläfern und Schlaflosen,
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