Bettler 02 - Bettler und Sucher
Freundes, von dem die AEGS auch nichts wußte. »Geht nach Washington, bei mir.«
»Arnie Shaw«, beeilte sich der Mann mir kundzutun. »Der Zug, hat er schon ‘ne Panne gehabt?«
»Nee«, sagte ich. »Wird aber noch, todsicher.«
»Was soll man schon tun dagegen?«
»Gar nichts.«
»Macht die Sache spannend.«
»Arnie«, fuhr Mama Nutzer dazwischen und unterbrach so unsere leichte Konversation, »hier hinten. Is’ mehr Platz da.« Sie bedachte mich mit einem Blick, der PlastiSynth verschmort hätte.
»Is’ doch auch hier genug Platz, Dee.«
»Arnie!«
»Wiedersehn«, sagte ich. Die Frau murmelte etwas vor sich hin, als sie alle nach hinten gingen. Blöde Kuh. Ich spielte mit dem Gedanken, ihre Nachkommenschaft von den SuperSchlaflosen in vierarmige schwanzlose Wachhunde verwandeln zu lassen. Oder wonach ihnen sonst der Sinn stand. Ich lehnte den Kopf zurück und schloß die Augen. Im Schneckentempo fuhren wir in das nächste Nutzer-Nest ein.
Als wir es gerade wieder verließen, tauchte der jüngste Shaw-Sprößling bei mir auf. Ein kleines Mädchen, etwa fünf, kam durch den Mittelgang gekrabbelt wie ein Kätzchen. Sie hatte ein keckes kleines Gesichtchen und langes, schmutziges braunes Haar.
»He du, du hast ‘n schönes Armband.« Verlangend blickte sie auf die Limodosen-Scheußlichkeit an meinem Handgelenk, einen Kranz geringelter Anhängsel aus einer Leichtmetallegierung, die so biegsam war wie warmes Wachs. Ein ihm besonders ergebener Wähler hatte das Armband und die dazupassenden Ohrgehänge an David geschickt, als er für den kalifornischen Senat kandidierte. Wir hatten es zum Spaß behalten.
Ich streifte das Armband ab. »Willst es haben, du?«
»Ehrlich?« Ihr Gesicht strahlte. Sie riß mir das Armband aus den hingestreckten Fingern und krabbelte den Mittelgang zurück nach hinten. Ein Zipfel ihrer blauen Bluse hing ihr aus dem Overall. Ich grinste. Ein Jammer, daß aus Kätzchen unausbleiblich Katzen werden.
Eine Minute später tauchte Mama Nutzer neben mir auf. »Können Ihr Armband behalten, Sie! Desdemona, die hat ihren eigenen Schmuck!«
Desdemona. Wo sie wohl alle diese Namen herhaben? Es gibt keine Shakespeare-Aufführungen auf den Rennbahnen.
Die Frau sah aus stahlharten Augen auf mich herab. »Hören Sie, Sie bleiben bei Ihren Leuten, un’ wir, wir bleiben bei den unsren. Is’ besser für alle. Klar?«
»Ja, Madam«, sagte ich und ließ die Kontaktlinsen von den Augen fallen. Meine Augen sind violett, ein intensives GenMod-Violett. Ich faltete die Hände auf dem Schoß und starrte ihr schweigend ins Gesicht.
Sie watschelte in sich hineinmurmelnd davon. Ich hörte etwas heraus, das klang wie: »Diese Sippschaft…«
»Wenn sich herausstellt, daß ich nicht als Nutzerin durchgehen kann«, hatte ich Colin erklärt, »dann versuch’ ich es als bekloppter Macher, der als Nutzer auftreten möchte. Ich wäre nicht der erste Macher, der sich unter die Eingeborenen mischt. Du verstehst, der schwielige Angehörige der Arbeiterklasse, der sich rührende Mühe gibt, für einen Aristo gehalten zu werden. Der sich in der Masse versteckt.«
Colin hatte die Schultern gehoben. Erst dachte ich, er würde es bereits bereuen, mich angeheuert zu haben, aber dann wurde mir klar, daß er hoffte, mein Herumgealber würde die Aufmerksamkeit von den echten AEGS-Agenten ablenken, die zweifellos auch auf dem Weg nach Washington waren: Das Bundesforum für Wissenschaft und Technik, gemeinhin als Wissenschaftsgericht bekannt, hatte Ansuchen Nr. 1892-A auf der Tagesordnung. Was dieses Ansuchen grundlegend von Nummer 1 bis Nummer 1891 unterschied, war der Umstand, daß es von der Huevos Verdes Corporation eingebracht worden war. Zum erstenmal seit zehn Jahren suchten die SuperSchlaflosen um staatliche Genehmigung für die wirtschaftliche Nutzung einer patentierten gentechnischen Erfindung in den Vereinigten Staaten an. Sie hatten natürlich ebenso viele Chancen wie ein Fisch auf dem Mond, aber es war doch ziemlich interessant. Warum jetzt? Was bezweckten sie? Und würde einer der siebenundzwanzig bei der Sitzung des Wissenschaftsgerichts persönlich anwesend sein?
Und wenn er da war, würde ich in der Lage sein, ihn zu beschatten?
Ich starrte zum Fenster hinaus, auf die robobestellten Felder. Weizen oder vielleicht auch Soja – ich hatte keine Ahnung wie beides aussah, wenn es im Wachsen war. Nach zehn Minuten war Desdemona wieder da. Ihr Gesichtchen tauchte langsam zwischen meinen ausgestreckten
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