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Bettler 02 - Bettler und Sucher

Titel: Bettler 02 - Bettler und Sucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Debatte, daß die Antwort selbstverständlich auch die Wahrheit enthielt.
    Von meinem Zug aus konnte ich jedenfalls genug von dem herrlich schönen, verstümmelten Kadaver sehen. Die Gravbahn war mit einem Viertel ihrer normalen Reisegeschwindigkeit über die Rocky Mountains gekrochen, damit die Nutzer-Passagiere die spektakulären Ausblicke genießen konnten. Die purpurne Majestät der Berge und so. Niemand warf auch nur einen kurzen Blick aus dem Fenster. Ich hingegen klebte mit der Nase daran und kostete in aller Überheblichkeit meine ehrlich gefühlte heilige Ehrfurcht aus.
    In Garden City, Kansas, stieg ich in eine Lokalbahn um, die mit vierhundert Stundenkilometern durch die grandiose Landschaft zischte und mit praktisch null durch die Drecknester der Nutzer schlich. »Warum fliegst du nicht einfach nach Washington?« hatte Colin Kowalski ungläubig gefragt. »Du mußt dich doch wegen des Auftrags nicht gleich als Nutzerin aufspielen!« Ich hatte geantwortet, daß ich die Nutzer-Orte wenigstens zu Gesicht bekommen wollte, deren genetische Reinheit ich gegen eine potentielle, künstlich herbeigeführte Entartung zu verteidigen plante. Meine Antwort gefiel ihm ebensowenig, wie sie Gene gefallen hätte.
    Nun, jetzt bekam ich sie zu Gesicht. Den verstümmelten Kadaver.
    Jeder Ort sah aus wie der andere. Straßen, die strahlenförmig von der Gravbahn-Station wegführten; Häuser und Wohnblocks, teils ganz aus SchaumStein, teils noch aus Ziegeln und sogar Holz mit Schaum-Stein-Anbauten. Beim SchaumStein überwogen schreiende Farben – Pink, Orangerot, Kobaltblau und ein äußerst beliebtes Grün in der Farbe von Hühnergalle. Aristokratischer Nutzer-Müßiggang verlieh nicht automatisch aristokratischen Geschmack.
    Jeder Ort wies eine Gemeindecafeteria in der Größe eines Flugzeughangars auf, ein Lagerhaus für die Waren, verschiedene Ortsgruppenhäuser, eine öffentliche Badeanstalt, ein Hotel, Sportplätze und eine verlassen wirkende Schule. Alles und jedes war mit Holotafeln zugepflastert: Distriktsleiter- S. R.- Wähl-Mich-Lagerhaus. Senator-Frances-Fay-FamilienGeld-Café. Und außerhalb der Stadt, kaum von der Gravbahn aus zu sehen, das Y-Energie-Werk und die mit Schutzschilden versehenen RoboFabriken, die alles in Gang hielten. Und natürlich die Rollerrennbahn, so unvermeidlich wie der Tod.
    Irgendwo in Kansas kletterte eine Familie in den Zug und ließ sich lautstark auf den Sitzen mir gegenüber nieder. Papa, Mama und drei kleine Nutzer, zwei davon mit rinnenden Nasen, alle fünf mit dringendem Bedarf an Diät und Gymnastik. Fettwülste wälzten sich unter Mama Nutzers leuchtendgelbem Overall hin und her, als ihr Blick mich streifte, weiterwanderte und wieder zurückkehrte. Wie Radar.
    »Hallo!« sagte ich.
    Sie machte ein finsteres Gesicht und stieß ihren Liebsten in die Rippen. Er sah mich an und machte keineswegs ein finsteres Gesicht. Die Brut starrte mich schweigend an, der Älteste – er war etwa zwölf – mit einem Blick wie der seines Vaters.
    Colin hatte mich später davor gewarnt, auch nur den Versuch zu machen, bei meinem Job als Nutzerin aufzutreten; er sagte, es gäbe keine Möglichkeit, Schlaflose zu täuschen. Ich hatte gesagt, es läge mir fern, Schlaflose täuschen zu wollen, ich wollte mich nur in die örtliche Fauna einfügen. Er sagte, das wäre nicht möglich. Offenbar hatte er recht. Mama Nutzer warf einen Blick auf meine GenMod-langen Beine, das sorgfältig entworfene Gesicht und den Anne-Boleyn-Hals, der meinen Vater ein kleines Vermögen gekostet hatte, und sie wußte alles. Mein giftgrüner Overall, der Limodosen-Schmuck (allerorten beliebt; man bastelte ihn selbst) und die kackebraunen Kontaktlinsen machten nicht den geringsten Unterschied für sie aus. Papa & Sohn waren sich nicht so sicher, aber schließlich war es ihnen auch völlig egal. Sie hatten Brustumfang im Sinn, nicht Genbestimmung.
    »Name is’ Darla Jones«, sagte ich grinsend. Die verschließbare Innentasche meines Overalls war bis obenhin voll mit verschiedenen Chips unter verschiedenen Namen; einige davon hatte die AEGS bereitgestellt, und vom Rest wußte sie nichts. Es ist ein Fehler, wenn man die Behörde für alle unsere Tarnungen sorgen läßt, denn eines Tages konnte der Zeitpunkt kommen, daß man eine Tarnung vor der Behörde benötigt. Alle meine Identitäten waren in staatlichen Datenbanken dokumentiert und sahen so aus, als ob sie sich langer Vergangenheiten erfreuten – dank eines talentierten

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