Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Bettler 02 - Bettler und Sucher

Titel: Bettler 02 - Bettler und Sucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
Vom Netzwerk:
Lichtstrahlen. Die Muster wanderten langsam ineinander und bildeten komplizierte Formen; leise und vertraulich begann Drew Arlens Stimme mit der Geschichte.
    »Es war einmal ein Mann mit großen Hoffnungen, doch ohne Macht. Als er jung war, wollte er alles haben. Er wollte Stärke, damit die anderen Männer ihn respektierten. Er wollte Frauen besitzen und schmelzen vor Befriedigung. Er wollte Liebe. Er wollte Aufregung. Er wollte seine Tage mit Herausforderungen erfüllen, die nur er bewältigen konnte. Er wollte…«
    O bitte! Was war das anderes als Einklinken in primitivste Wünsche und Begierden? Und da gab es sogar Macher, die diesen Kerl einen Künstler nannten!
    Doch irgendwie fand ich die Formen unwiderstehlich. Sie glitten an Arlens Rollstuhl vorbei, falteten und entfalteten sich, teils deutlich sichtbar, teils hart am Rand bewußter Wahrnehmung. Ich spürte das Blut in meinen Adern fließen, spürte dieses plötzliche Aufwallen von Lebendigkeit, das einen manchmal im Frühling, beim Sex oder angesichts einer besonders verlockenden Aufgabe überkommt. Ich war also nicht immun gegen unterschwellige Reize. Diese hier mußten von einer ganz schlimmen Sorte sein.
    Ich sah in den Waggon der Gravbahn; die Nutzer standen dicht gedrängt und reglos hinter den Fensterscheiben. Desdemona starrte mit offenem Mund heraus. Selbst Mama Nutzers Gesicht ließ mit einemmal einen Anflug des jungen Mädchens erkennen, das sie einst vor Jahrzehnten an einem längst vergessenen Nutzer-Sommerabend gewesen sein mußte.
    Ich wandte mich wieder Arlen zu, der immer noch sein simples Garn spann. Er hatte eine musikalische Stimme. Die Geschichte war eine Art Pseudovolksmärchen ohne Feinheiten, ohne Resonanz, ohne Details, ohne Ironie – eine kunstlose Geschichte. Die Worte waren nichts als ein kahles Gerippe, über dem die bildlichen Darstellungen schimmerten, und die ihre wahre Bedeutung erst durch das bekamen, was sie in den hypnotisierten Persönlichkeiten der Zuhörer auslösten. Ich hatte gehört, daß jeder Mensch eine Drew-Arlen-Vorstellung anders empfand, je nachdem, welche Kindheitserlebnisse unterschiedlichen Symbolcharakters und unterschiedlicher Intensität im Gedächtnis gespeichert waren und freigesetzt wurden. Ich hatte es gehört, aber nicht geglaubt.
    Und so schlenderte ich nun in der Dunkelheit langsam den Zug entlang und ließ meine Blicke über die Nutzer-Gesichter hinter den Fenstern wandern. Manche waren tränennaß. Was immer sie gerade erlebten, es sah weitaus aufwühlender aus als alles, was ich in der Sixtinischen Kapelle verspürt hatte oder bei Lewis Darrells König Lear oder während des Beethoven-Festivals der Philharmoniker von San Francisco. Aufwühlender als Sonnenschein oder sogar NerveX. So aufwühlend wie ein Orgasmus.
    Lichtes Träumen unterlag keinen Regelungen. Arlen hatte zu allen Zeiten einen Haufen schwachbrüstiger Imitatoren gehabt, aber die hielten sich nie lange. Für das, was Drew Arlen zustande brachte, war er offenbar der einzige Mensch auf der ganzen Welt, der wußte, wie man es zustande brachte. Die meisten Macher ignorierten ihn: ein manipulativer Schwindler, der mit wahrer Kunst ebensoviel zu tun hatte wie diese Holos der Jungfrau Maria, die bei religiösen Festlichkeiten plötzlich und regelmäßig ›erschienen‹.
    »… verließ das Heim, das er liebte«, sagte Arlens tiefe, musikalische Stimme, »und ging allein davon, tief hinein in einen dunklen Wald…«
    Lichtes Träumen unterlag keinen Regelungen. Und Drew Arlen war, wie alle Welt wußte, Miranda Sharifis Liebhaber. Er war der einzige Schläfer, der nach eigenem Gutdünken in Huevos Verdes ein- und ausgehen durfte. Zusammen mit einer Meute von Reportern, die eine kleine Stadt gefüllt hätten, klebte ihm die AEGS natürlich dauernd an den Fersen; denn es waren nur seine Vorträge, die sie nicht ernst nahm.
    Ich spazierte die Gravbahn entlang zurück und kletterte in meinen Waggon. Der großköpfige Mann war der einzige, der nicht am Fenster hing. Er lag auf einer der verlassenen Sitzbänke und schlief. Oder tat so, als würde er schlafen. Um einer Hypnose zu entgehen? Um die Wirksamkeit von Arlens Auftritt zu verfolgen?
    Der Vortrag ging weiter. Der Krieger bestand die üblichen Gefahren, errang die üblichen Siege, genoß die üblichen Triumphe. Schlichte, stark simplifizierte halluzinative Vorstellungen. Als es aus war, umarmten die Leute einander gerührt, lachten und weinten und stürzten dann aus dem Zug auf das Holo

Weitere Kostenlose Bücher