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Bettler 02 - Bettler und Sucher

Titel: Bettler 02 - Bettler und Sucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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erheben, um einen gerechten und humanen Staat zu etablieren?
    Ja. Ganz richtig: Desdemonas Mama und die anderen Nutzer im Zug, denen die Kontrolle über eine Biotechnik zukam, die in der Lage war, die menschliche Rasse so abzuändern, daß etwas anderes aus ihr wurde. Blinde, die blind Gen an Gen hängten. Ganz richtig.
    Trägheit, die Schwester der Depression, erfaßte mich. Ich saß da und begann zu frieren, während der Himmel sich verdunkelte und mein Hintern von dem harten Marmor schmerzte. Der Säulengang war lang schon verwaist, als ich mich langsam und steifbeinig auf die Füße rappelte – und seit Wochen zum erstenmal ein wenig Glück hatte.
    Im Schutz des dunklen Teils der breiten Treppe schritt Miranda Sharifi die Stufen hinab. Das Gesicht war nicht ganz das ihre, und der braune Overall paßte auch nicht ganz, und außerdem hatte ich sie und Leisha Camden in diesen Luftwagen steigen sehen, der vor Stunden vom Dach gestartet und von halb Washington verfolgt worden war. Diese Nutzerin hier hatte blasse Haut, eine große Nase und kurzes, schmutzigblondes Haar. Warum also war ich so sicher, daß es sich um Miranda handelte? Wegen des großen Kopfes und des Stückchens roter Schleife, das aus ihrer Hüfttasche lugte, wie ich durch rasches Heranzoomen erkennen konnte. Aber vielleicht hatte ich nur den unbändigen Wunsch, daß dies die echte Miranda sein möge und diejenige ›Miranda‹, die da oben mit Leisha Camden davongeflogen war, bloß ein Lockvogel.
    Ich suchte in der Hosentasche nach dem Mittelbereichs-Infrarotsensor, den Colin Kowalski mir gegeben hatte, und zielte ein paarmal auf sie. Der Zeiger schlug über die Skala hinaus. Miranda oder nicht, diese Person verfügte über den hochtourigen Metabolismus eines SuperSchlaflosen. Und kein einziger AEGS-Agent in Sicht.
    Aber selbstverständlich hätte ich ihn ohnedies nicht bemerkt.
    Ich lehnte es ab, mich von meinem Negativismus unterkriegen zu lassen: Miranda gehörte mir! Ich folgte ihr zur Gravbahn-Station, wobei ich erfreut feststellen konnte, wie leicht das bei der Schulung Erlernte zurückkehrte. Wir stiegen in einen Lokalzug Richtung Norden und nahmen in einem überfüllten, stinkenden Waggon Platz, in dem sich so viele Kinder befanden, daß man den Eindruck bekam, die Nutzer mußten direkt hier auf dem schmutzigen Boden für Fortpflanzung sorgen.
    Alle zwanzig Minuten oder so hielt der Zug in irgendeinem finsteren Nutzer-Kaff. Ich wagte nicht zu schlafen, denn Miranda konnte mir irgendwo abhandenkommen. Und wenn die Reise Tage dauerte? Bis zum Morgen hatte ich es geschafft, daß ich zwischen den Stationen schlief und mein Unterbewußtsein mich jedesmal, wenn der Zug langsamer wurde und zum Halt kam, wie die feuchte Schnauze eines Hundes wachstupste. Das alles verhalf mir zu äußerst merkwürdigen Träumen. Einmal war es David, dem ich folgte; er entledigte sich nacheinander aller seiner Kleider, während er von mir wegtänzelte wie ein unerreichbarer Dämon. Einmal träumte ich, daß ich Mirandas Spur verloren hatte und das Wissenschaftsgericht wegen Nutzlosigkeit für den Staat gegen mich verhandelte. Das schlimmste war der Traum, in dem mir der Zellreiniger injiziert wurde und ich im selben Moment erkennen mußte, daß er chemisch identisch war mit dem Industriereiniger, den der HaushaltsRob in meiner Enklave in San Francisco verwendete. Jede Zelle in meinem Körper löste sich unvorstellbar qualvoll in Bleiche und Ammoniak auf, und als ich erwachte, schnappte ich nach Luft, und das Gesicht, das mir aus dem schwarzen Glas des Fensters entgegenblickte, war völlig verzerrt.
    Danach blieb ich wach und betrachtete Miranda Sharifi, während die Gravbahn – wunderbarerweise ganz ohne Panne – zwischen den Bergen von Pennsylvania hindurch und in den Staat New York glitt.

 
    7
    Drew Arlen:
    Seattle
     
    In meinem Kopf befand sich ein Gitterwerk, das ich nicht loswerden konnte.
    Es sah fast so aus wie die Rankgitter, an denen normalerweise Rosen blühten, und schwebte ohne Unterlaß vor meinem geistigen Auge. Seine Farbe war jenes dunkle Violettgrau, das alle Objekte in der späten Dämmerung annehmen, wenn man schwer erkennen kann, wie etwas wirklich gefärbt ist. Miri hat mir einmal erklärt, daß nichts ›wirklich‹ irgendwie gefärbt ist; daß es alles nur eine Frage ›von äußeren Gegebenheiten abhängiger, reflektierter Wellenlängen‹ ist. Ich habe nicht verstanden, was sie damit meinte. Für mich sind Farben zu wichtig, um von

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