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Bettler 02 - Bettler und Sucher

Titel: Bettler 02 - Bettler und Sucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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sechsten oder siebenten Reihe sah nicht zu mir herauf. Sein Blick wanderte rundum, von einem versunkenen Gesicht zum nächsten. Anfangs wirkte er verwirrt, dann beunruhigt. Ein Fall von natürlicher Immunität gegen Hypnose – davon gab es immer wieder ein paar. Auf Huevos Verdes hatte man die chemische Substanz im Gehirn isoliert, die einen Menschen für Lichtes Träumen empfänglich machte, bloß handelte es sich dabei nicht um eine einzige Substanz, sondern um eine Kombination von etwas, das Sara Cerelli ›zwingend erforderliche Konditionierung‹ nannte, bei der einiges von Enzymen abhing, die von anderen Konditionierungen ausgelöst wurden… Ich begriff kein Wort davon. Aber das brauchte ich auch nicht. Ich war der Lichte Träumer.
    Der Mann, der von den Vorgängen unberührt blieb, rutschte unruhig auf seinem Sitz hin und her. Dann saß er still und hörte einfach zu. Hinterher würde er mit seinen Freunden nicht viel darüber reden, das wußte ich; es war kein gutes Gefühl, ausgeschlossen zu sein.
    Ich wußte es sehr genau, meine Auftritte basierten darauf.
    »Er wollte seine Tage mit Herausforderungen erfüllen, die nur er bewältigen konnte.«
    Miri liebte mich auf eine Weise, wie ich sie nie lieben konnte. Sie brannte, diese Liebe, so lichterloh wie Miris Intelligenz. Es war die Liebe und nicht die Intelligenz, deretwegen ich sie nie fragte: »Sollen wir wirklich weitermachen mit dem Projekt? Welchen Beweis haben wir, daß dies der richtige Weg ist?« Sie würde mir natürlich antworten, daß es keinen Beweis geben konnte, und ihre Erklärung, weshalb nicht, würde so viele komplizierte Dinge enthalten – Gleichungen und Präzendenzien und Hypothesen – daß ich sie nicht verstehen würde.
    Aber das war nicht der wahre Grund, weshalb ich meine Zweifel nie wirklich kundgetan hatte. Der wahre Grund war ihre Liebe, für die ich ihr keine entsprechende Gegenliebe geben konnte; dazu kam, daß ich Sanctuary haben wollte, seit ich sechs Jahre alt war und entdeckt hatte, daß mein Großvater beim Bau der Orbitalstation gestorben war – als Hilfsmonteur, zu einer Zeit, als ein nach Wählerstimmen gierender Staatsapparat noch nicht für den Lebensunterhalt aller Nutzer sorgte. Und dann hatte ich mir eben gezwungenermaßen statt Sanctuary Huevos Verdes in den Kopf gesetzt.
    Doch nun gab es dieses bleiche Gras, von dem das Gitterwerk in meinem Innern und die ganze Welt umwuchert wurde.
    »Er wollte…«
    Er wollte wieder sich selbst gehören.
    Die Formen glitten rund um meinen Rollstuhl; das Unterschwellige flackerte durch das Bewußtsein meiner Zuhörerschaft. Jetzt waren die Gesichter völlig offen und wehrlos, blind gegen die Anwesenheit der anderen und auch der meinen. Jetzt öffneten sich für einen kurzen Moment die Geheimtüren zu ihrer Seele, zu den Wünschen und der Zuversicht und der Furchtlosigkeit, die dort seit Jahrzehnten begraben gelegen hatten – unter einer Welt, die Ordnung und Konformismus und Vorhersagbarkeit benötigte, um zu funktionieren. Das war meine bisher beste Aufführung des ›Kriegers‹. Das spürte ich.
    Am Ende, fast eine Stunde später, hob ich die Hände und fühlte den üblichen Gefühlserguß heiliger Zuneigung für sie alle. »Heilige Zuneigung wie ein Papst oder ein Lama?« hatte Miri gefragt, aber das war es nicht. »Wie ein Bruder«, hatte ich geantwortet und zugesehen, wie ihre dunklen Augen sich mit Schmerz erfüllten. Ihr eigener Bruder war auf Sanctuary getötet worden. Ich hatte gewußt, daß meine Antwort sie schmerzen würde. Das war auch eine Art von Machtausübung, und nun schämte ich mich dafür.
    Aber es stimmte, was ich gesagt hatte. In ein paar Minuten, sobald die Vorstellung vorbei war, würden diese Nutzer wieder zu demselben jammernden, ewig nörgelnden, kraftlosen, ungebildeten Pack werden, das sie vorher gewesen waren. Doch diesen Augenblick lang, unmittelbar bevor der Vortrag endete, fühlte ich eine Brüderlichkeit, die überhaupt nichts mit irgendwelchen Ähnlichkeiten zu tun hatte.
    Aber sie würden nicht vollständig zurückkehren zu dem, was sie vorher gewesen waren. Nicht vollständig. Das Computerprogramm von Huevos Verdes hatte das bestätigt.
    »… zurück in sein Reich.«
    Die Musik endete. Die Formen vergingen. Die Lichter flammten auf. Langsam zerflossen die Gesichter rundum und wurden wieder sie selbst, erst mit weit aufgerissenen Augen, dann lachend, dann weinend. Der Applaus begann.
    Ich sah mich nach dem Mann mit dem

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