Bettler 03 - Bettlers Ritt
aussehen mußten: vier groteske Gestalten mit weit aufgerissenen Augen, die umeinander herumzappelten und nach Panik stanken. Nein, denk nicht so, sieh dich nicht von irgendwo außerhalb, sondern sieh dich als Leisha! Sie war Leisha Camden.
»Versucht nicht, mich aufzuhalten«, krächzte Theresa. Mike hielt einen Moment lang inne und kam dann weiter auf sie zu.
»Es ist mein Ernst!«
»Mike!« wimmerte Patty, »nein…! Du kannst nich’…!«
»Die kann nich’ einfach unser Holo mitnehmen, die!« flüsterte Mike. »Wir geben’s nich’ her, nee!« Er packte Theresa am Arm.
Der Schwindelanfall begann, und Schwärze ergoß sich in ihr Gehirn. Zusammen mit Mikes Hand versuchte Theresa, auch den Anfall wegzustoßen – Leisha war nie in Ohnmacht gefallen! –, aber es ging nicht. Sie war eben nicht Leisha, ruhig und fest und kühl, sie konnte nie Leisha sein, dazu bräuchte sie mehr Selbstkontrolle, als sie je haben würde! Auch wenn es ein paar Minuten lang so geschienen hatte, als würde das Leisha-Sein funktionieren, war Theresa eben nicht Leisha…
Dann sei jemand, der nicht ruhig und kühl ist!
»Gebt jetzt dieses gottverdammte Holo her, oder ich mache Seemannsknoten aus euch allen!« schrie Theresa, und die Worte waren Cazies Worte.
Mike ließ ihren Arm los und starrte sie an.
»Geht mir aus dem Weg, habt ihr nicht verstanden?«
Ein Teil der Menge zog sich zurück, der Rest rückte furchtsam voran. Gemurmel erhob sich, innerhalb der Dreiergruppen und zwischen ihnen: »Sollten nich’ zulassen, wir, daß sie’s uns wegnimmt…«, »Halt sie auf, du…«, »Was für ‘n Recht hat die eigentlich…«
In einer Minute würden sie die Angst überwinden und wieder auf Theresa eindringen. Nein – auf Cazie eindringen! Sie war ja Cazie. Und die Chemie in den Hirnen dieser Leute machte ihnen jetzt Angst vor allem Unbekannten, vor allem Ungewohnten.
»Ich werde schreien!« brüllte Theresa aus vollem Hals. »Ich lasse den Erdboden unter euch schmelzen! Ich kann dafür Nano-Tech einsetzen, von der ihr keine Ahnung habt! Ich brauche nur zu singen!« Sie begann zu singen – irgendein Lied, das ihre Kinderfrau ihr einst vorgesungen hatte, aber das Lied war zu sanftmütig, also fing Theresa an, zu hüpfen und sich zu drehen und den Text des Liedes zu brüllen, ehe sie ihn durch jene Obszönitäten ersetzte, die Cazie gebrauchte, wenn sie auf Jackson wütend war, weil er nicht das tat, was sie wollte. »Du jämmerlicher, eingebildeter Hurensohn, deine Vorstellung von der Realität ist so beschränkt, daß du nicht mal ein winziges, beschissenes Fragment davon kapierst – geschweige denn von mir! Dir geht jegliche Ironie ab, Jackson, kannst du denn nicht mal das kapieren, zum Geier! Zur stinkenden Nutzer-Hölle mit dir, du verweichlichter Waschlappen, man könnte glauben, du… Und jetzt geht mir verdammt noch mal aus dem Weg!«
Das taten sie auch. Die Menge wich zurück, und ein paar Kinder fingen an zu weinen. Dreiergruppen hielten sich fest umschlungen. Kreischend, singend, hüpfend, fluchend und rundum schlagend bewegte Theresa sich auf die Tür zu, die Patrone in der Hand, während hundert Menschen – aber vermutlich waren es neunundneunzig oder vielleicht hundertzwei – sie mit dem gleichen angstvollen Grauen ansahen, das Theresa jeden Tag im Spiegel erblickte.
Sie schaffte es bis nach draußen, ehe ihre angespannten Nerven rissen.
Und sie war auch noch in der Lage, zum Luftwagen zu stolpern. »Hoch!« keuchte sie, »nach Hause…«, doch dann blieb ihr der Atem in der Kehle stecken, und der Anfall setzte ein, und sie konnte nicht mehr tun, als sich bemühen zu atmen, während der Wagen ohne ihr Zutun von dem Nutzer-Lager abhob, wo keine einzige Gestalt aus dem Gebäude rannte, um Theresa nachzusehen.
Kurz bevor sie Manhattan-Ost erreichte, erlangte Theresa wieder Kontrolle über ihren Körper. Sie lehnte sich zurück und versuchte zu denken.
Sie konnte nicht nach Hause, denn Cazie mochte immer noch da sein. Also ließ sie den Wagen zum ersten großen freien Areal fliegen, welches, wie sich herausstellte, ein verlassener Rollerrennplatz war. Dort, an einer Stelle, von wo aus sie die ganze Gegend überblicken konnte, landete der Wagen. Theresa blieb sitzen, die Patrone von Mirandas Holo in der Faust, und atmete so tief und gleichmäßig wie möglich.
Was war soeben geschehen?
Sie war Cazie gewesen. Selbstverständlich hatte sie nur vorgegeben, Cazie zu sein, aber sie war dabei zu einer solchen
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