Bettler 03 - Bettlers Ritt
Intensität fähig gewesen, daß es ausgereicht hatte, ihre Ängste für ein Weilchen hintanzuhalten und sich auf eine Weise zu verhalten, wie sie es sonst nie geschafft hätte. Aber wie war das zustande gekommen? Holoschauspieler gaben natürlich immerzu vor, jemand anders zu sein als sie selbst, um möglichst realistische Darstellungen zu erreichen… aber Theresa war keine Holoschauspielerin! Und ganz gewiß hatte sie nichts mit Cazie gemein. Die Chemie ihres Gehirns arbeitete anders als die anderer Menschen, war irgendwie fehlerhaft, so daß sie dauernd an Ängsten und Unruhe litt und an dem, was Jackson ›ernsthafte Inhibitionen gegenüber Neuerungen‹ nannte… Hatte das Schlüpfen in eine fremde Rolle die chemischen Vorgänge in ihrem Gehirn tatsächlich für einige Minuten verändert? Aber wie konnte das sein?
Sie würde Thomas bitten, es herauszufinden.
Doch im Moment mußte sie sich entscheiden, welches ihr nächstes Ziel sein sollte, wenn sie nicht nach Hause flog. Nur – sie wollte doch so gern nach Hause! Sie wußte nicht, wie lange diese unheimliche geliehene Chemie in ihrem Hirn funktionieren würde, und sie wollte ihre eigenen Dinge um sich haben, ihr rosa Schlafzimmer und die gehäkelte Decke und Thomas. Aber wenn Cazie noch dort war…
Falls Cazie noch dort war, würde Theresa eben zu jemandem werden, der Cazie klarmachte, daß dies kein guter Zeitpunkt zum Reden war. Zu jemandem, der sagen konnte: »Tut mir leid, aber ich bin jetzt müde und möchte schlafen.« Auch wenn Theresa es nur eine Minute lang durchhielt, so zu tun, als wäre sie eine andere Person! Eine Minute mochte durchaus reichen, und gewiß konnte sie es schaffen, eine Minute lang irgend jemand anders zu sein…! Leisha Camden. Leisha war immer ruhig und fest gewesen. Theresa würde Leisha Camden sein, so wie sie vor all diesen Anwälten ihr Anliegen für die Rechte der Schlaflosen ruhig vorgetragen hatte… und Cazie würde…
Cazie würde den Überbrückungscode eingeben und Theresa in kleine Stückchen zerfetzen.
Theresa konnte nicht Leisha Camden sein, wenn sie Cazie gegenüberstand! Es wäre so, als wollte man sich an Strohhalme klammern, wenn ein Hurrikan nahte. Aber vielleicht konnte sie vor sich selbst Leisha Camden sein? Jetzt eine Minute lang so zu tun, als hätte sie Leishas Verstand, während sie überlegte, wohin sie fliegen und was sie tun sollte. Als wäre sie Leisha, die ihren Problemen ins Auge sah und sich bemühte, sie mit Logik zu lösen…
Hätte Leisha herausfinden wollen, was über das gefälschte Holo von Miranda bekannt war, hätte sie sich wohl an jenen Ort gewandt, wo man aller Wahrscheinlichkeit nach etwas darüber wußte. Wo immer das auch war. Auch an Selene. Aber Selene beantwortete keine Botschaften, und selbst wenn Theresa den Mut zu einer Weltraumreise aufgebracht hätte… Aber das schaffte sie nicht. Das wußte sie. Doch vielleicht mußte sie gar nicht so weit reisen…
Theresas Finger krampften sich noch fester um die Holopatrone. Konnte sie das wirklich tun, auch wenn sie vorgab, Leisha zu sein? Zu einem Flughafen fliegen, ganz allein ein Flugzeug chartern… nein, das war zu schwer. Schon wenn sie daran dachte, mußte sie nach Atem ringen.
Doch dann dachte sie daran, nach Hause zu kommen – und an den Versuch Cazie zu verheimlichen, wo Jackson sich befand.
Eine Minute lang vergrub Theresa das Gesicht in den Händen und richtete sich dann auf. Sie war nicht Theresa Aranow, sie war Leisha Camden. Und wenn sie sich das einbildete, würde sie sich völlig anders fühlen, und dann würden sich die chemischen Abläufe in ihrem Hirn ein ganz klein wenig verschieben… Sie war Leisha Camden. Sie war Leisha Camden!
»Flughafen Manhattan-Ost. Automatische Koordinaten«, sagte sie zum Wagen, und selbst in ihren eigenen entsetzten Ohren klang ihre Stimme ein wenig anders als sonst.
Als der Wagen in die Luft stieg, hatte Theresa einen anderen Gedanken. Nimm ein Neuropharm! sagte Jackson immer. Und das wollte Theresa nie, weil sie fürchtete, ihre besondere Gabe des Schmerzes zu verlieren und damit das Ziel, an das diese Gabe sie führen sollte. Sie hatte sich stets davor gefürchtet, Neuropharms zu verwenden, nur um jemand anderer zu werden.
Unwillkürlich mußte Theresa lachen; es kam als Wimmern heraus.
Sie fragte sich, wer sie tatsächlich sein würde – und wen sie vorfinden würde, drüben in New Mexico.
Das schwierigste an der ganzen Sache, so stellte sich heraus, war die Suche
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