Bettler 03 - Bettlers Ritt
hinter ihren Lidern abliefen. Mit diesem hier stimmte irgend etwas nicht. Die Stimme gehörte zwar Miranda, und die Worte ertönten synchron mit Mirandas Lippenbewegungen – nicht aber mit ihren Körperbewegungen. Nein, das war es auch nicht. Ihr Körper bewegte sich überhaupt nicht viel. Das war es! Die steife Reglosigkeit bei einigen Wörtern und dazu die Bewegungen bei anderen… der Rhythmus stimmte nicht. Und der Rhythmus der Worte auch nicht. Theresa hatte ein absolutes Gehör. Sie hörte das schwache Absinken um einen Halbton an den falschen Stellen. Das Holo war künstlich hergestellt, keine echte Aufzeichnung!
Was hieß, daß Miranda diese Botschaft nicht geschickt hatte. Oder die roten Spritzen.
Theresa blickte sich um. Die Nutzer-Gesichter wirkten hingerissen, entrückt, als würden sie eine Darbietung des Lichten Träumers verfolgen. Das Holo mußte Sequenzen enthalten, die direkt ins Unterbewußtsein drangen. Theresa senkte die Augen und lauschte dem Rest der Botschaft, ohne den visuellen Teil zu verfolgen.
Wenn die Bindungs-Spritzen nicht von Miranda stammten – von wem dann?
Vielleicht von denselben Leuten, welche das Neuropharm herstellten, das diese Menschen hier eingeatmet hatten? Das Neuropharm, das so große Angst vor neuen Dingen verursachte? Aber warum?
Jackson hatte gesagt, daß niemand außer den Super-Schlaflosen solche Neuropharmaka entwickeln konnte. Niemand außer Miranda Sharifi kannte die Wirkungsweise des Zellreinigers genügend, um etwas zu schaffen, das nicht von den Umstellungs -Nanos in den Körpern der Menschen zerstört werden würde. In den Körpern aller Menschen – ausgenommen Theresa.
»… Zusammenleben auf eine neue Art und Weise, die Gemeinschaftsgefühl schafft und dieses Gemeinschaftsgefühl direkt in der Biologie des Menschen verankert…«
Theresa wurde von Zweifeln erfaßt. Was wußte sie schon über die ›Biologie des Menschen‹, über Gemeinschaftsgefühl oder SuperSchlaflose? Wer war sie schon, um zu entscheiden, daß diese Aufzeichnung nicht von Miranda stammte? Theresa war verrückt, ängstlich, nicht umgestellt, bekam Krämpfe, sobald irgend etwas zu fremdartig wurde, hatte ihre Wohnung letztes Jahr nur dreimal verlassen, und fürchtete sich vor dem Heimgehen, weil ihre Ex-Schwägerin, die zugleich ihre einzige Freundin war, ihren Besuch angesagt hatte. Theresa wußte gar nichts.
Mit Ausnahme jedweder verbuchten Einzelheit aus Leisha Camdens Leben.
Und bei dieser Erkenntnis wußte Theresa plötzlich, was sie zu tun hatte.
Sie erhob sich im selben Moment, in dem die Aufzeichnung endete. Rund um sie starrten Nutzer mit glasigem Blick und versonnen lächelnd auf die jeweils beiden anderen Partner ihrer Dreiergruppe. Ohne die sie sterben würden. Böse, böse. Das war keine Bindung, das war Gefangenschaft.
»Geben Sie mir die Holo-Patrone, Josh«, sagte Theresa so entschieden, wie sie konnte. Sie versuchte zu klingen wie Leisha Camden, wenn Leisha ihre Befehle gab. Niemand kannte Leishas Leben besser als Theresa; niemand kannte Leisha selbst besser.
Hundert benebelte Gesichter starrten sie an.
»Ich nehme die Patrone mit. Ich brauche sie. Und ich bringe sie auch wieder zurück.« Leisha, die Jennifer Sharifi mit fester Stimme erklärte, daß Sanctuary der falsche Weg war. Oder Leisha, die Calvin Hawke erklärte, daß seine Anti-Schlaflosen-Bewegung am Ende war. Leisha: ruhig, fest, kühl. Mit zitternden Knien setzte Theresa sich Richtung Holobühne in Bewegung.
»Laß unser Miranda-Holo bloß in Ruhe, du!« rief jemand.
»Tut mir leid, das kann ich nicht. Ich brauche es.« Theresa war am Terminal angelangt. Aber sie war nicht Theresa, sie war Leisha. Das war der Trick! Sei Leisha, fühle so wie sie! Wenn Theresa bei einer Nachrichtensendung fühlen konnte, was die Mutter eines sterbenden, nicht umgestellten Babies fühlte – wenn sie so fühlen konnte, als wäre sie die Mutter –, dann konnte sie auch Leisha Camden sein! Es war genau das gleiche. Genau das gleiche…
Jetzt standen ein paar Leute auf und taumelten in ihren Dreiergruppen ziellos umher, und einige von ihnen hielten schließlich auf Theresa zu. Mike zögerte, und dann taten er und Josh dasselbe, wobei sie Patty hinter sich herzogen. Mike hatte den Schädel tief zwischen die Schultern gezogen, und aus seinen Augen sprach nackte Angst, als er und die beiden anderen dicht vor Theresa stehenblieben. Eine Sekunde lang sah Theresa sich und die anderen so, wie sie für einen Fremden
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