Bettler 03 - Bettlers Ritt
Ich habe geschwindelt, wissen Sie, als Sie meinten, ich würde nicht zulassen wollen, daß alles zu vollautomatisch für mich wird, und ich ja sagte. Es ist alles schon vollautomatisch für mich. Ich bin reich und ich habe einen liebenden Bruder, der zwischen mir und der übrigen Welt steht und ich muß mir nie Sorgen machen oder um etwas kämpfen – und ganz gewiß nicht um mein täglich’ Brot, das von Robs angeliefert und zubereitet und serviert wird, während… während die meisten Menschen in diesem Land da draußen ohne Schutz oder Y-Kegel oder medizinische Versorgung für ihre Kinder auskommen müssen, für die es noch dazu nicht genügend Umstellungs -Spritzen gibt… Nicht, daß ich die Umstellung für etwas Gutes halte – ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Aber der Grund, weshalb ich immer anders war, ist, daß ich etwas will, das niemand haben kann – Jackson sagt, niemand kann es haben, weil es nicht existiert. Ich will die Wahrheit! Die Wahrheit, die real und greifbar ist und einem hilft bei der Entscheidung, wie man sein Leben leben will und was für eine Bedeutung dieses Leben haben sollte. Oh, ich weiß, daß es so eine Art von Wahrheit nicht gibt – die absolute Wahrheit – und daß es dumm und naiv ist, sich auf die Suche danach zu machen, aber das tue ich nun mal. Zumindest versuche ich es. Ich ließ mir von Thomas helfen, Christentum und Zen und Yagaiismus und Hinduismus und die Grundlagen der wissenschaftlichen Umstellung durchzugehen… Ich bin nicht besonders klug, Schwester, weil bei meiner In-vitro-Zeugung vermutlich etwas schiefgegangen ist, und sehr viel habe ich nicht verstanden von dem, was Thomas für mich zusammengetragen hat. Aber ich habe es versucht. Und mir kommt es so vor, als würden alle diese Überzeugungen einander widersprechen, alle behaupten etwas anderes, und wenn das stimmt, so frage ich mich, wie können sie dann die Wahrheit sein? Und dann widersprechen sie sich selbst, weil ein Teil des Glaubens mit einem anderen Teil nicht zusammenpaßt oder nicht zu dem paßt, was ich rundum in der Welt sehe, also wie kann dann irgend etwas davon wahr sein? Es ist es nicht! Doch was bleibt mir dann noch – außer diesem seltsamen Verlangen, das anscheinend niemand außer mir kennt? Und so fühle ich mich so einsam, daß ich glaube, ich sterbe. Ich habe schon ernsthaft an Selbstmord gedacht. Aber was würde ich damit Jackson antun, der sich ohnehin schon so verantwortlich fühlt für mich? Ich kann es nicht. Ich kann es nicht. Es wäre nicht richtig. Nur… wie soll ich wissen, was ›richtig‹ ist, wenn ich nicht herausfinde, was wahr ist? Und so lebe ich immerzu in diesem… diesem Vakuum, und manchmal ist die Leere so groß und dunkel und dick, daß ich das Gefühl habe, darin zu ersticken oder mich darin so sehr zu verirren, daß niemand mich mehr finden kann. Daß ich mich nicht einmal selbst finden kann, das heißt, ich selbst bin ja gar nicht das, was ich finden will! Es ist so unbedeutend, nichts zu finden außer mir selbst!«
Theresa hielt inne und rang nach Luft. Was redete sie da nur daher? Breitete es aus wie ein greinendes Kind vor einer Fremden, vor dieser gelassenen, in sich ruhenden Frau, die sie nicht einmal kannte…
»Sie haben recht mit Ihrer Suche«, sagte Schwester Anne, »aber unrecht, was Ihre Schlußfolgerungen betrifft.«
Sie sprach mit absoluter Überzeugung, und doch fühlte Theresa sich verwirrt; sie vermeinte nicht, irgendwelche Schlußfolgerungen gezogen zu haben – sie war gar nicht fähig, welche zu ziehen. War nicht genau das ihr Problem?
»Ich verstehe nicht, Schwester.«
»Wie alt sind Sie, Miss Aranow?«
»Achtzehn«, sagte sie und wartete auf das Lächeln. Es kam nicht.
»Sie meinen, die Glaubensrichtungen – von Yagaiismus bis Zen –, mit denen Sie sich beschäftigt haben, widersprechen nicht nur einander, sondern sie sind auch in sich widersprüchlich oder widersprechen Ihren persönlichen Erfahrungen und können somit nicht die Wahrheit verkörpern. Das ist ein Irrtum Ihrerseits.«
»Wie?« rief Theresa. »Wo soll da mein Irrtum liegen?«
»Sie verkörpern alle die Wahrheit. Jede einzelne der Glaubensrichtungen, die Sie erwähnt haben, ebenso wie Atheismus, Druidismus und Teufelsanbetung.«
Theresa starrte ihr Gegenüber sprachlos an.
»Tatsache ist, mein liebes verlorenes Kind, daß die Wahrheit nichts so Einfaches ist. Sie ist gediegen und umfassend und leuchtet hell genug, um die Finsternis zu durchdringen.
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