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Bettler 03 - Bettlers Ritt

Titel: Bettler 03 - Bettlers Ritt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Aber sie ist nicht einfach.«
    »Das verstehe ich nicht.« Theresa sank in sich zusammen. Sie hatte die plötzliche Vorstellung, wie Cazie Schwester Anne aus einem Winkel des weißgetünchten Zimmerchens beobachtete: Cazie, den Kopf schiefgelegt, die golden gesprenkelten Augen spöttisch glitzernd, das Lächeln wandernd von einem zum anderen. Ironie, Tessie! Verlier nie deine Ironie!
    »Alles ist wahr – unter den entsprechenden Umständen. Die Menschen sind gut, und die Menschen sind sündig. Gott ist allmächtig, aber Gott kann nicht für jede einzelne Seele entscheiden. Liebe ist erhabener als Gerechtigkeit, und Gerechtigkeit erhabener als Liebe. Wie sonst hätte sich die Kirche über zwei Jahrtausende hinweg immerfort ändern und doch die Kirche bleiben können? Manchmal müssen Ketzer ausgemerzt und vernichtet werden, und manchmal müssen Ketzer bereitwillig akzeptiert werden, und manchmal sind die Ketzer wir selbst. Alles davon ist wahr. Aber die Menschheit kann nicht die ganze Wahrheit auf einmal sehen, und so sehen wir zu jeder Zeit soviel wir können. Wie alles andere unterliegt auch die Wahrheit der Mode. Doch unter der jeweiligen Mode bleibt die Gediegenheit bestehen.«
    »Aber, Schwester… wenn rein alles wahr ist…«
    »Dann ist es die Aufgabe des Suchenden, den Egoismus persönlicher Wahrnehmung auszuklammern und soviel von Gott zu sehen, wie er kann.«
    Den Egoismus persönlicher Wahrnehmung. Theresa hatte ihre liebe Not mit diesem Konzept. »Sie meinen… wir können nicht alles sehen, und so müssen wir einfach darauf vertrauen, daß auch der Rest da ist? Vertrauen auf unseren Glauben?«
    »Das ist ein Teil davon. Aber es gibt noch mehr. Wir müssen die Beschränktheit unseres persönlichen Wahrnehmungsvermögens – die Grenzen unseres persönlichen Wahrnehmungsvermögens – öffnen und das sehen, was uns bislang verborgen blieb.«
    »Aber wie ?« rief Theresa und fügte stiller hinzu: »Wie?«
    Schwester Anne stand auf und ging zur Tür. Sie öffnete sie, und der herrliche Wohlklang wogte in den Raum: dreißig, vierzig, fünfzig Stimmen, die sich im Gesang erhoben, inbrünstig und rein – ein Schwall von Tönen, so schwer und süß wie der Duft einer Sommernacht. Theresa schloß die Augen und beugte sich vor, als wäre der Gesang ein lauer Fluß, in den sie sich langsam hineingleiten ließ.
    »So«, sagte Schwester Anne.
    Ironie ist immer die beste Waffe gegen Selbsttäuschungen, behauptete Cazie.
    »Sie ist auch die beste Waffe gegen das Risiko echter Gefühle«, sagte Schwester Anne leise, und Theresa riß die Augen auf und ihr Herz begann wild zu rasen, bis sie erkannte, daß sie Cazies Worte laut ausgesprochen haben mußte.
    Sie stand auf, ohne zu wissen, weshalb. Der Vespergesang hob und senkte sich rund um sie wie ein Meer aus goldenen Tönen, fühlbar und machtvoll wie ein Schwall frischen Wassers. Wieder raste ihr Herz, aber diesmal ohne Gefahr eines Anfalls. Ihr Atem ging tief und gleichmäßig. Ja! sagte etwas in den Tiefen ihres Bewußtseins. Ja ja ja!
    Die Nonne ließ sie nicht aus den Augen. »Es sind nur sehr wenige Menschen, die wirklich für diesen Orden gemacht sind, Miss Aranow.«
    »Ich gehöre dazu«, sagte Theresa, und ihr schien, als habe sie noch nie in ihrem ganzen Leben etwas mit einer solchen inneren Überzeugung ausgesprochen. In diesem Moment lag alles hinter ihr: die Unsicherheit, die Verlorenheit, die entsetzlichen Ängste. Vor allem die Ängste. Vor dem Fremden, dem Ausgefallenen, dem Andersartigen. Es war vorbei. Sie war daheim.
    Schwester Anne lächelte; für Theresa verschmolz das Lächeln mit der Herrlichkeit der Musik – war die Musik. »Ich denke, Sie könnten recht haben. Möchten Sie die Blut- und Zerebralspinaltests gleich jetzt machen lassen?«
    Theresa lächelte zurück. »Tests?«
    »Als eventuelle Grundlage für die für Sie maßgefertigten Neuropharms.«
    »Die… was?«
    »Wir fertigen die Mischung natürlich für jede Bewerberin speziell an. Unser Labor, das wir in Saranac Lake gemeinsam mit den Jesuiten betreiben, ist auf dem allerneuesten Stand der Forschung wie kaum ein anderes auf der Welt. Ihre persönliche Mischung wird den Vergleich mit allem, was in Boston oder Kopenhagen oder Brasilia zu bekommen ist, in keiner Hinsicht zu scheuen haben.«
    »Ich nehme keine Neuropharmaka«, sagte Theresa hölzern.
    »Ganz gewiß haben Sie noch nie welche wie die unseren genommen. Für diesen Zweck, mit diesen Resultaten. Noch nie.«
    »Ich nehme

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