Bettler 03 - Bettlers Ritt
Schreibtisch mit dem Terminal und drei Stühle standen. Holzstühle. »Sie sind nicht umgestellt«, platzte Theresa heraus. »Keine von Ihnen.«
»Nein«, bestätigte Schwester Anne lächelnd. »Wir müssen essen und trinken und sind daher für unser tägliches Brot abhängig von unseren eigenen Anstrengungen und Seiner Gnade.«
»Ist das… ist das…« Theresa zitterte. Aber sie zwang sich, die Worte hervorzubringen, denn sie waren so wichtig für sie. »Ist das eine spirituelle Übung?«
»Das ist es. Aber vielleicht sollten wir damit beginnen, daß Sie mir verraten, weshalb Sie hier sind, Miss Aranow.«
»Warum ich hier bin…« Theresa sah die Nonne an.
Sie hatte Thomas Hintergrundinformationen einholen lassen. Schwester Anne war einundfünfzig Jahre alt, war mit siebzehn in diesen halbklösterlichen Orden eingetreten und eine von nur noch achthundertneunundvierzig Schwestern des Barmherzigen Himmels auf der ganzen Welt. Geboren als Anne Grenville Hart in Wichita, Kansas, hatte sie von ihrer Mutter, einer Mitbegründerin von ›Prousts Madeleines‹, einer Kette von Lizenzbäckereien, drei Millionen Dollar geerbt und dem Orden geschenkt. Warum war Anne Grenville Hart hier? Aber das konnte Theresa nicht gut fragen. Gehorsam bemühte sie sich daher, die Frage der Nonne zu beantworten, obwohl sie von vornherein wußte, daß dieser Versuch scheitern mußte, denn die Antwort würde nicht das ausdrücken können, wofür Theresa selbst keine Worte fand.
»Ich bin hier, weil ich… nach etwas suche«, begann sie und wartete darauf, gefragt zu werden, wonach. Die nicht zu beantwortende Frage, die nur zum Stammeln wirrer Worte und zu verwunderten Blicken und wachsender Ungeduld seitens der Schwester führen mußte, bis Theresa schließlich in hilfloses Schweigen verfallen würde…
Aber Schwester Anne sagte: »Und Sie haben schon überall nachgesehen, wo Sie dachten, Sie könnten es finden, fanden es nicht und nun versuchen Sie es hier als letzte Möglichkeit. Obwohl Sie nicht in der Lage sind, das zu definieren, was Sie suchen und fürchten, es könnte sich gar nicht um das katholische Konzept von Gott handeln.«
»Ja!« stieß Theresa hervor. »Wie… wieso wissen Sie das?«
»Sie sind nicht die erste, die zu uns kommt«, erwiderte Schwester Anne freundlich, »und Sie werden nicht die letzte sein. Aber ich denke, Sie könnten anders sein als die anderen. Miss Aranow, warum sind Sie nicht umgestellt?«
»Es geht nicht.«
»Es geht nicht? Sie meinen, es besteht ein physischer Grund dafür?«
»Nein, nein, es ist nur… daß ich nicht kann.«
»Sie fürchten, damit Ihr Leben zu vollautomatisch zu machen. Mit den körperlichen Bedürfnissen und Nöten, meinen Sie, beginnt die spirituelle Suche. Darin wurzelt und entspringt unser geistiges Streben.«
»Ja!« rief Theresa und schnappte nach Luft. »O ja! Nur…«
»Nur – was, Miss Aranow?« Schwester Anne beugte sich vor auf ihrem Stuhl, der aus hartem, lange abgelagertem natürlichem Holz bestand, das von ihrem nicht umgestellten Körper nicht Molekül für Molekül konsumiert werden würde, bis er zu einem dürren Skelett seiner selbst geschrumpft war. Dieser Stuhl würde ein Stuhl bleiben. Schwester Annes Gesichtsausdruck war so herzlich wie der von Jackson und Cazie, aber doch irgendwie anders, nicht… nicht was? Nicht behutsam, nicht mitleidig, nicht gönnerhaft Theresa gegenüber; Schwester Anne hielt Theresa Aranow weder für schwach noch für übergeschnappt.
Als sie in dieses ruhige, verständnisvolle Antlitz blickte, verflüchtigte sich Theresas Angst vor Fremden plötzlich, und die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus – eine Flutwelle, der nicht Einhalt zu bieten war. »Immer habe ich etwas gewollt, etwas gesucht, mein ganzes Leben lang… bloß habe ich keine Ahnung, was es ist! Und niemand außer mir schien es je zu brauchen oder auch nur zu wissen, worüber ich rede, selbst gute Menschen, von denen ich weiß, daß sie gut sind. Menschen, die ich liebe. Aber sie schauen mich an, als wäre ich verrückt… und eigentlich bin ich ja verrückt. Ich habe Depressionen, Platzangst und schwere neurologische Inhibitionen. Bis auf ein einzigesmal habe ich unser Apartment seit einem Jahr nicht verlassen, und das war… Niemand sonst, den ich kenne, denkt und fühlt so wie ich. Ich will, daß es etwas gibt, etwas… Großes. Etwas, das größer ist als ich. Etwas im Universum, an das ich mich klammern kann, das meinem Leben irgendeinen Sinn gibt…
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