Bettler 03 - Bettlers Ritt
Computersysteme zu erlernen, als auch – in der Folge – die Macht an sich zu reißen. Und so viel harte Macher-Arbeit – Jahrzehnte harter Macher-Arbeit! – war investiert worden, um das zu verhindern: miese Unterrichtssoftware, üppige Almosen in Form von materiellen Gütern, simple, von der Regierung finanzierte Unterhaltungen, die die Leute vom Denken abhielten. Ein politisches System, das die unterste Schicht davon überzeugte, in Wahrheit an der Spitze zu stehen, nur weil sie nicht zu arbeiten brauchte. Jackson wechselte den Kanal.
»… Silvesterfeiern der Mall-Enklave in der Hauptstadt der Nation. Erwärmt auf sommerliche zweiundzwanzig Grad mit Rücksicht auf die phantastischen Abendkleider der Damen, die entsprechend der heurigen Mode die Brust freilassen, bot die Mall zu Ehren der luxuriösesten Gala des Landes einen völlig ungewohnten Anblick. Präsident Garrison und seine Frau werden verschiedentlich Gelegenheit zu einem Tanz…« Jackson wechselte den Kanal.
»… des Spiels. Der internationale Schachmeister Wladimir Woitinuik, der hier seinen vierten Zug gegen den Herausforderer Guillaume überlegt…« Er wechselte den Kanal.
»… nähert sich rasch der Küste von Florida, wo gegenwärtig unglücklicherweise eine große Anzahl sogenannter Nutzer-Stämme ihr Winterquartier aufgeschlagen haben. Obwohl er zu einem späten Zeitpunkt der tropischen Hurrikansaison auftritt, könnte Hurrikan Kate eine Geschwindigkeit von mehr als zweihundert Stundenkilometern erreichen…«
RoboKameras zeigten verängstigte, zumeist fast nackte Nutzer, die versuchten, mit Schaufeln, Stöcken, ja selbst Metalltrümmern, die aussahen wie Reste kaputtgegangener Robs, Schutzgräben auszuheben. Die Nahaufnahme eines Kindes, das vom Sturm den Armen seiner kreischenden Mutter entrissen wird…
»Jackson?« sagte Theresa. Er hatte sie nicht eintreten hören, als sie barfuß durch die Tür tappte. Schnell schaltete er die Nachrichten ab.
»Jackson, ich muß dich etwas fragen.«
»Und was, Theresa?«
Sie sah schrecklich aus, war noch dünner geworden. Anorexia nervosa kam seit der Umstellung praktisch nicht mehr vor – da er seine Nahrung direkt aufnahm, wußte der Körper genau, wann er genug hatte –, aber Jackson dachte, daß Theresa, die ja nicht umgestellt war, knapp davor stand. Unter dem Saum ihres losen geblümten Kleides sah er die langen knöchernen Silhouetten ihrer Schienbeine, und über dem Halsausschnitt hoben sich die Schlüsselbeine gegen die Masse dunklen Haares ab wie Zweige gegen eine Wolke. Ohnmächtig stellte er sich vor, was eine gründliche Untersuchung alles zutage fördern mochte: zu geringe Knochendichte, Defizite bei den roten und weißen Blutkörperchen, bei den zerebrospinalen Transmittern, den metabolischen Prozessen – nichts im Gleichgewicht. Die sämtliche Grenzwerte übersteigende Belastung auf kardialem, kortikalem, ja selbst zellulärem Niveau. Dazu biogene Aminosäuren, die der Körper nur unter pathologischen Bedingungen produzierte – jene Sorte, die das Absterben von Nervenzellen und permanente Veränderungen in der Neuralstruktur anzeigte.
»Tessie… du mußt mehr essen. Du hast es mir versprochen!«
»Ich weiß. Ich werde es auch tun, aber ich bin manchmal so vertieft in mein Buch… Damit geht es jetzt ein wenig besser voran, glaube ich. Manche Abschnitte drücken schon beinahe das aus, was ich sagen will. Was Leisha sagen will. Sagen wollte. Aber jetzt möchte ich wissen, ob du mir ein gutes Programm über Abraham Lincoln empfehlen könntest. Etwas, das nicht allzu schwer zu verstehen ist, aber sein Leben und seine Politik klar erläutert.«
»Abraham Lincoln? Warum?« Aber in der nächsten Sekunde wußte er es ohnehin.
»Leisha Camden hat ein Buch über Lincoln geschrieben. Aus dem, was Thomas mir darüber gesagt hat, geht hervor, daß es als bedeutendes Werk angesehen wurde. Und ich weiß fast gar nichts über Präsident Lincoln.«
Theresa hatte sich noch nie für Geschichte interessiert – eigentlich war sie nie über die Grundschulsoftware hinausgekommen. »Warum benutzt du denn nicht einfach das Camden-Buch?« fragte Jackson.
Seine Schwester errötete. »Es ist nicht adaptiert. Und als ich es Thomas vorlesen ließ… also, ich denke, ich brauche etwas Einfacheres. Wirst du mir helfen?«
»Natürlich«, sagte er zärtlich. Und fügte dann hinzu, weil es ihn dazu drängte: »Wie läuft es mit dem Buch über Leisha?«
»Ach, du weißt schon.« Sie machte eine
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