Bettler 03 - Bettlers Ritt
»Für den großen Einsatz wollen wir so wenige Variablen wie nur möglich. Ich werde Robert dahingehend unterrichten. Er führt die Verhandlungen über die Freisetzung. Er wird Ende der Woche einen Bericht für dich haben.«
»Keine Araber, Russen, Franzosen oder Chinesen. Und niemanden, von dem bekannt ist, daß er einmal mit Strukow zusammengearbeitet hat – wie lose auch immer.«
»Diese Männer sind Peruaner.«
»Gut. Von La Guerra de Dios?«
»Nein. Keiner Gruppierung zugehörig.«
»Und Strukow hat sich einverstanden erklärt, mit ihnen zusammenzuarbeiten?«
»Ja, aber nur was die Abwicklung, die Örtlichkeiten und sein Sicherheitsteam betrifft.«
»Selbstverständlich«, sagte Jennifer. »Setz den Termin für eine Besprechung mit Robert an.«
»Du, ich und Caroline?«
»Auch Barbara, Raymond, Charles und Eileen. Ich möchte, daß jeder einzelne weiß, was die anderen tun.«
Paul nickte, nicht sehr glücklich, und ging.
Er versteht es nicht, dachte Jennifer. Paul hätte das Wissen lieber entsprechend dem Beitrag jedes einzelnen Individuums aufgeteilt, als handelte es sich um Geld. Warum nur war es so schwer für einige von ihnen – für Paul, ja selbst für Will –, das moralische Prinzip zu verstehen, das dahinter stand? Sanctuary war eine Gemeinschaft. Das Handeln derjenigen, die die Gemeinschaft anführten, mußte aus dem Sinn für Verantwortung, für Verpflichtungen und für Loyalität entspringen. Und niemand konnte der Gemeinschaft um ein Drittel weniger Loyalität oder Pflichten schulden als die anderen. Und deshalb mußten alle zwölf Personen, die Sanctuary vor den Vereinigten Staaten sicher machen würden, die Risiken, die Planung und das Wissen gemeinsam tragen. Alles andere hätte eine Handlungsweise dargestellt, die nicht moralischer Gesinnung, sondern dem Wunsch nach Höherrangigkeit entsprang. Auf diese Weise handelten die Schläfer. Die Unmoralischen.
Jennifer drehte den Stuhl zurück, so daß sie das Fenster vor Augen hatte. Es war voller Sterne: Rigel, Aldebaran, die Plejaden. Plötzlich erinnerte sie sich an etwas, das sie einst, vor langer Zeit, zu Miranda gesagt hatte, als Miri noch ein kleines Mädchen gewesen war. Jennifer hatte Miri zum Fenster des Ratssaales von Sanctuary hochgehoben, und ein Meteor war vorbeigezogen. Miri hatte gelacht und die dicken kleinen Ärmchen ausgestreckt, um nach dem wunderbaren Licht am Himmel zu greifen. »Sie sind zu weit weg für deine Hände. Aber nicht für deinen Geist. Erinnere dich immer daran, Miranda.«
Miranda hatte sich nicht daran erinnert. Sie hatte ihren Geist verwendet, o ja, aber nicht, um hinauszugreifen, nach oben. Statt dessen hatte sie ihre gesteigerte Intelligenz – welche Jennifer Sharifi ihr geschenkt hatte – dazu benutzt, um im Schmutz der Schläferbiologie zu waten. Zum Nutzen der Schläfer, die Sanctuary verraten hatten. Genau wie Miranda selbst.
»Der Freund meines Feindes ist auch mein Feind«, rezitierte Jennifer laut. Jenseits des Fensters kam die Erde in Sicht. Sanctuary umkreiste die Erde über Afrika – einem weiteren Ort, den die Schläfer verwüstet hatten.
Der Bildschirm wurde hell. Wieder Caroline. Doch diesmal wirkte die Kommunikationschefin erschüttert. »Jennifer?«
»Ja, Caroline?«
»Wir haben… neue Daten.«
»Ja? Und?«
»Nicht über Link«, sagte Caroline. »Ich komme zu dir. Gleich jetzt.«
Jennifer gestattete sich nicht, die Haltung zu verlieren. »Wie du möchtest. Kannst du mir sagen, worum sich die neuen Daten drehen?«
»Um Selene.«
Der Bildschirm war leer.
Während sie auf Caroline wartete, reinigte Jennifer die Spitze ihrer Feder. Die zwanzig Minuten waren lange schon um. Als sie auf das Blatt blickte, sah sie, daß sie, ohne sich dessen bewußt zu sein, weitergezeichnet hatte, während sie an Miranda dachte. Auf dem dicken weißen Papier befanden sich – in Umrissen und schraffiert – Stirn-, Schläfen- und Scheitellappen des menschlichen Gehirns.
INTERMEZZO
SENDEDATUM: 12. Feber 2121
GEHT AN: Mondbasis Selene
VIA: Bodenstation Lyon, Satellit E-398 (Frankreich), GLO-Satellit 62 (USA)
NACHRICHT – ART: nicht verschlüsselt
NACHRICHT – KLASSE: entfällt; ausländische Übermittlung
AUSGEHEND VON: nicht genannte Gruppierung; Ste. Jeanne, Frankreich
NACHRICHT LAUTET:
Nous sommes les gens d’une petite ville en France qui s’appelle Ste. Jeanne. Nous n’avons plus des seringues de la santé. Maintenant, ici, il n’y a pas beaucoup
Weitere Kostenlose Bücher