Bettler 03 - Bettlers Ritt
reden«, sagte Vicki. »Hast du keine Lust, dich in die Systeme hier einzuklinken und dich ein bißchen darin umzusehen? Aranow hat ein Caroline VIII.«
Ein Caroline VIII. Lizzie hatte davon gehört. Plötzlich wünschte sie sich, in dieses System hineinzukommen, wie sie sich noch niemals etwas gewünscht hatte. Sie konnte in diesem System fischen; sie konnte es verstehen – im Gegensatz zu allem anderen, was plötzlich in ihrem Leben aufgetaucht war.
»Dirk geht’s jetzt gut, das Pflaster wird noch stundenlang wirken. Komm, Lizzie, wir wollen uns einen Brückenkopf schaffen.«
Lizzie hatte keine Ahnung, was ein Brückenkopf war, und fragte auch nicht. Aber sie folgte Vicki bis ins Wohnzimmer, wo sie Dirk noch hören konnte. Der Tisch bog sich nach wie vor unter all der Mundnahrung, die darauf stand.
»Jacksons System wird sprachgesteuert sein«, sagte Vicki, und Lizzie lachte und griff nach einem Teller: »Denkst du wirklich, daß mich das zurückhalten kann?«
»Anscheinend nicht. Bis später, dann. Ich gehe auf die Suche nach Theresa.«
Gierig stürzte Lizzie sich auf das Essen. Alles schmeckte so gut! Sogar die Teller und Schüsseln waren wunderschön; sie bestanden aus irgendeinem dünnen Material und hatten Goldränder. Und erst die Gläser! Und das Silberzeug! Nachdem Lizzie alles in sich hineingestopft hatte, was ihr Magen behalten konnte, sah sie sich rasch um und ließ dann behende einen Silberlöffel in der Hosentasche verschwinden.
Dann begann sie mit Jones, dem Haussystem. Wie erwartet enthielt es einen direkten, lächerlich schwach geschützten Zugriff auf Jacksons persönliches System. Amateure. Jacksons Leben lag vor Lizzie wie ein aufgeschlagenes Buch.
Und dazu auch noch Theresas Leben. Lizzies Augen glänzten. Falls Vicki das Mädchen nicht finden oder nicht zum Reden bringen konnte, dann würde Lizzie bei ihrer Rückkehr bereits alles über Theresa aus deren persönlichem System wissen. Und dann, wenn Vicki sagte, es wäre ihr nicht möglich gewesen, dies oder das zu erfahren, dann konnte ihr Lizzie die gewünschte Information lässig hinwerfen; sie würde mehr über die ganze Situation wissen als Vicki.
Theresas persönliches System Thomas enthielt Verzeichnisse, medizinische Unterlagen (hatte Theresa als Kind tatsächlich all diese Arzneien bekommen? Und worum handelte es sich dabei?), Abrechnungen von Bankkonten – Lizzie notierte sich die Nummern und die Zugriffscodes –, eine Auswahl von Wandprogrammen, die Liste der Bibliotheksanfragen und der ComLink-Anrufe (kaum welche – hatte Theresa keine Freunde?), Aufträge für Jones, Kleiderentwürfe… hatte sie keine Termindatei? Nein, aber dafür ein Buch, das sie gerade sprach.
Lizzie schnaubte verächtlich. Die Macher-Netze waren überschwemmt von Büchern. Von allen Nutzungsmöglichkeiten eines Systems schien ihr diese die stumpfsinnigste. Wer wollte schon von Krempel hören, der nie passiert war oder vor langer, langer Zeit passiert und längst vorbei war? So wie die Dinge lagen, gab es in der Gegenwart schon überreichlich Krempel, den man in sich aufnehmen mußte! Lizzie überflog die Datei, bis sie auf das Wort Umstellungs -Spritze stieß.
Sie stoppte. »Thomas, lies mir diesen Abschnitt vor.«
Das System las: »Leisha Camden bekam die Umstellungs -Spritzen, die Miranda herstellte, nie zu Gesicht. Denn da war Leisha schon tot. Aber alle glauben, daß die Umstellungs -Spritzen Leisha gefallen hätten, denn sie sagte einmal zu Tony Indivino, daß sie den armen Bettlern in Spanien viel Geld geben würde. Alle glauben, daß Leisha alles gefallen hätte, was armen Bettlern wie den Nutzern die Ernährung sichert. Aber ich glaube nicht, daß die Umstellungs -Spritzen Leisha gefallen hätten, denn sie wußte, daß die Menschen zwar Nahrung brauchen, daß sie aber andere Dinge noch dringender brauchen, wie zum Beispiel einen Sinn im Leben.«
Armen Bettlern – wie den Nutzern? Lizzie hatte im ganzen Leben noch um nichts gebettelt! Wenn sie etwas haben wollte, dann ging sie hin und holte es sich! Oder sie fischte danach im Netz und holte es dann. »Thomas, Zusammenfassung des Dateiinhalts!«
»Diese Datei ist ein Buch, gesprochen von Theresa Aranow. Sie begann die Datei am 19. August 2118. Das Buch ist eine Lebensgeschichte von Leisha Camden, 2008 bis 2114, der einundzwanzigsten Schlaflosen, die in den Vereinigten Staaten nach gentechnischen Veränderungen am Erbgut das Licht der Welt erblickte. Das Buch behandelt Leisha Camdens
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