Bettler 03 - Bettlers Ritt
fragte Vicki, aber Lizzie hörte die Antwort nicht, denn im Nebenzimmer begann Dirk zu weinen.
Lizzie rannte hinüber. Hilflos schaukelte Theresa den Kleinen und sang ihm vor, während Dirk angstvoll schrie und versuchte, von ihrem Schoß zu kommen.
Lizzie nahm ihn hoch; mit einemmal Theresa gegenüber versöhnlich gestimmt, sagte Lizzie: »Sie brauchen kein schlechtes Gewissen zu haben. Das macht er bloß, weil er Sie nicht kennt.«
»Fürchtet… er sich… vor Fremden?«
»Erst seit heute morgen.«
Die beiden blickten einander an, und Lizzie wurde plötzlich klar, wie sie in den Augen eines Dritten aussehen mußten: Theresa mit ihren GenMods, schön und elegant in ihrem hübschen Kleid, und Lizzie mit Schlammspritzern und nassen Blättern auf ihrem verdreckten Overall, in den Haaren und auf dem Gesicht. Aber Theresa war diejenige, die Angst hatte. Lizzie zog ein Zweiglein aus Dirks Haar.
»Irgend etwas ist heute morgen passiert«, erklärte sie aus einem Impuls heraus. »Doktor Aranow sagte, möglicherweise hat man ein Neuropharm auf unserem Nährplatz deponiert. Und das hatte die Wirkung, daß sich die Leute jetzt vor allem Neuen fürchten. Selbst davor, Shockey zu wählen! Und wir haben so hart daran gearbeitet! Gottverdammte Scheiße!«
Theresa zuckte zusammen, aber sie sagte: »Sie fürchten sich vor allem Neuen? Sie meinen, so wie… wie ich?«
Also das hatte es auf sich mit diesem Mädchen! Sie hatte ein Neuropharm eingeatmet wie das, das Annie und Billy eingeatmet hatten! Aber… Doktor Aranow meinte doch, er hätte keine Ahnung, worum es sich bei dem Neuropharm handelte, es war etwas, das Schläfer nicht erfinden konnten, also wie konnte Theresa dann…
»Ich muß wieder rüber«, sagte sie abrupt. »Doktor Aranow ruft gerade einen Forschungsmenschen an.« Sie nahm Dirk mit ins Eßzimmer.
Jetzt standen Teller mit Lebensmitteln auf dem Tisch, obwohl Lizzie keinen Rob hatte vorbeikommen sehen. Erdbeeren, riesiggroß und frisch, helles Brot mit Früchten und Nüssen daraufgebacken, lockeres Rührei: Lizzie hatte seit letztem Sommer kein Ei mehr gegessen; ihr Mund füllte sich mit Wasser. Doch in der nächsten Sekunde vergaß sie all die guten Sachen.
Ein Teil der programmierten Wand hatte sich während Lizzies Abwesenheit zu einer Nische gekrümmt, in der eine Holobühne entstanden war. Eine solche Technik hätte Lizzie nie für möglich gehalten. Ein Mann, der etwa so alt war wie Doktor Aranow und ein fein geschnittenes Gesicht und hellbraunes Haar hatte, sagte auf der Holobühne: »Das klingt fast unglaublich, Jackson!«
»Ich weiß, Thurmond, ich weiß. Aber glaub mir, ich kannte diese Leute vorher, die Veränderung in ihrem Verhalten ist radikal und schlagartig eingetreten…«
»Wie kommt es, daß du Nutzer so gut kennst? Das sind doch keine Patienten von dir, oder? Sind sie nicht umgestellt?«
»O doch. Aber wieso ich diese Leute kenne, ist momentan nicht von Belang. Ich sage dir, diese Veränderung scheint mir von einem Neuropharmazeutikum verursacht zu sein, sie vergeht nicht, wenn die Inhalation gestoppt wird, und es gibt keine Begleiterscheinungen wie gastrointestinale Störungen oder Bewußtlosigkeit. Du mußt dir das ansehen, Thurmond. Ich möchte, daß du das unbedingt siehst!«
Das Holo trommelte mit den Fingern auf einen Schreibtisch. »Also gut. Ich werde die Sache Castner unterbreiten – wenn es geht. Bring mir zwei Exemplare her, das Baby und einen Erwachsenen.«
Exemplare?
»Wann?« fragte Doktor Aranow.
»Na ja, ich kann nicht… ach was, heute nachmittag. Bist du wirklich sicher, Jackson, daß die Verhaltensänderung nicht zurückgeht, wenn die Inhalation stoppt? Denn sonst ist es nur Zeitverschwendung, wenn ich…«
»Ich bin ganz sicher«, sagte Aranow. »Das ganze könnte sich als wertvoll für euch erweisen, Thurmond.«
»Soll ich einen Vertrag für dich aufsetzen lassen, der deine prozentuelle Beteiligung regelt, falls eine kommerzielle Nutzung erfolgt? Unsere Standardformel für diesen Fall…«
»Das hat Zeit. Wir sind in ein paar Stunden bei dir. Gib eine Vorwarnung an euer Sicherheitssystem. Ich und drei Nutzer, die…«
»Drei?«
»Die Mutter des Kindes muß natürlich mitkommen, aber sie hat das Neuropharm nicht eingeatmet, also werden es zwei Erwachsene sein.«
»Na gut. Aber sieh zu, daß sie vorher ein Bad nehmen.«
Jackson warf einen Seitenblick auf Vicki. Dieser Thurmond Rogers – dieser blöde Macher-Scheißer, der dachte, Nutzer würden sich
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