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Bettler und Hase. Roman

Bettler und Hase. Roman

Titel: Bettler und Hase. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tuomas Kyrö
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Trauergemeinde machte, verbreitete sich jedoch flugs im Internet. Man entdeckte Vatanescu im Hintergrund, jemand vergrößerte das Bild und stellte fest, dass derselbe Vagabund auch auf einem Handyvideo auftauchte, das im Marienkrankenhaus aufgenommen worden war. In diesem Clip sah man, wie der zerlumpte, aber sympathisch wirkende Mann vor der diensthabenden Schwester den Mantel öffnete, um ihr einen Hamster oder ein ähnliches, bemitleidenswert zappelndes Wesen zu zeigen.

    Die Stollenschuhe!
    Vatanescu fand eine Straßenbahnhaltestelle und fuhr ins Stadtzentrum.
    Er suchte ein Sportgeschäft.
    Er suchte das Schuhregal.
    Er suchte in der Tasche nach dem Zettel, auf den er am Tag seiner Abreise den Fuß seines Sohnes gezeichnet hatte.
    Wie lange bin ich schon weg? Gibt es eine Tabelle für die Füße von Jungen im Wachstumsalter?
    Stollen, Schnürsenkel, Klettverschlüsse, Flitter, Streifen, Eichenlaub, Reitstiefel, Spinningschuhe, Schuhe zum Joggen, Schuhe zum Sprinten, es gab keine menschliche Fortbewegungsart, für die man nicht eigens dafür gefertigte Schuhe gebraucht hätte. Vatanescu glich verschiedene Fußballschuhe mit der Zeichnung auf seinem Zettel ab.
    Nike?
    Adidas?
    Die teuersten kosten das ganze Geld von Jegor, und so soll es auch sein, denn die Aufgabe eines Vaters besteht darin, seinem Kind ein besseres Leben zu garantieren, als er selber es hat.
    Eine junge Frau, die ein T-Shirt mit dem Logo des Geschäfts anhatte, trat zu Vatanescu. Er nahm die teuersten Schuhe und bat darum, sie einzupacken. Sicherheitshalber zeigte er seine Scheine.
    Wo ist die Post? Wo kann ich die verschicken? Mein Sohn wird Sturmspitze. Torkanone. Man wird ihn bewundern, ihn und das Auto, mit dem ich ihn zum Training fahre.
    Die Verkäuferin nahm Vatanescu die Schuhe aus der Hand.
    Zugleich winkte sie jedoch aus der Abteilung für Nahrungsergänzungsmittel ein Muskelprotz zu sich, der an Lex Luthor erinnerte und aussah, als würde er jeden Tag damit beginnen, sämtliche Körperhaare zu entfernen, anschließend eine Kanne Protein-Shake leeren und danach einen Haufen blutige Kacke in der Schüssel ablegen. Kommt von den Stereoiden, aber es hat halt seinen Preis, dass man die Adern über den Muskeln sieht und sich der Nacken wölbt wie ein Atomkraftwerk an der japanischen Küste kurz vor der Explosion. Der Penis von Lex ist klein geworden, und die Hoden sind auf Rosinengröße geschrumpft, da steht nichts mehr, o nein, aber was macht das schon, wenn man dafür im Liegen zweihundertfünfzig Kilo stemmt. Lex hieß mit richtigem Namen Rahikainen, er hatte einen finnischen Löwen um den Hals baumeln und war an sich ein sanfter, guter Mensch, doch Zigeuner hatte er immer schon gehasst, weil er sich als kleiner Junge vor ihnen gefürchtet hatte. Sie versuchten einem Uhren oder Drogen zu verkaufen oder stahlen einem die Monatskarte und das Taschengeld, und ständig drohten sie einem mit dem Messer oder mit ihren Brüdern. So einen wollte Rahikainen in diesem Geschäft nicht sehen, denn soweit er wusste, hatte sich noch nie ein Zigeuner Sportartikel für den Eigenbedarf gekauft.
    Ohne ein Wort zu sagen, ging er auf Vatanescu zu, packte ihn im Nacken und hob ihn hoch, wodurch das Kaninchen unter Vatanescus Achsel herausrutschte. Vatanescu erwischte es gerade noch an den Ohren und steckte es wieder unter die Jacke, während er aus dem Geschäft getragen wurde. Rahikainen warf ihn auf den Bürgersteig, den Leuten vor die Füße. Zurück auf Start.
    »Wir suchen uns unsere Kunden aus.«
    Schuhe haben nicht nur einen Verkaufspreis, sondern auch ein Kaufgesicht.
    Wie komme ich an so ein Gesicht?
    Man darf nicht arm sein und nicht zerlumpt, nicht der Niedrigste unter den Niedrigen. Man darf kein Weichtier sein und nur den Überfluss der anderen aufsaugen.
    Man muss einer von ihnen sein.
    Aber ich kann ihre Sprache nicht, wie soll ich also Teil der Gruppe werden? Sie mögen keine Musik, sie mögen keine Grillfeste, und Fröhlichkeit und apathisches Kauern mögen sie auch nicht.
    Was dann?
    Arbeit.
    Arbeit mögen sie. Der Finne mag Leute, die arbeiten.

Einmal hatte Jegor zu Vatanescu gesagt: »Mit Arbeitslosengeld wäre das Einkommen wesentlich berechenbarer und leichter zu gewinnen als durch Betteln. Männern und Frauen aus der sechsten europäischen Liga, wie ihr es seid, müsste man bloß eine Sozialversicherungsnummer besorgen; die ist das direkte Schmuggelboot zur Stütze, zur Sozialhilfe, zur Rente und was es sonst noch alles gibt, zur

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