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Bettler und Hase. Roman

Bettler und Hase. Roman

Titel: Bettler und Hase. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tuomas Kyrö
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Stabilo-Stiften.
    Etwas sehr Wesentliches ist die Aufteilung der Erträge. Fünfundzwanzig Prozent sind zu wenig. Wer den schwereren physischen Einsatz leistet, der muss auch mehr bekommen, als Entschädigung dafür, dass er der Firma seine Körperkräfte zur Verfügung stellt. Alle Welt ist gegen Prostitution und Menschenhandel, aber niemand beschwert sich darüber, dass Bauarbeiter ihre Körper verkaufen. Die Geschäftsführung bescheißt ihre Untergebenen, wirtschaftet in die eigene Tasche und erpresst die Arbeiter mit Pinkelpausen. Denkt darüber mal nach!
    Jonttu hatte acht Tüten Chips mitgebracht, als Ergänzung zu den Köstlichkeiten von Ming, die Vatanescu im Gepäck hatte. Sie aßen wie die Tiere und spielten »Der Stern von Afrika« wie die Kinder. Vatanescu gelang es, mit Smaragden und Rubinen das größte Vermögen auf dem Spielbrett anzuhäufen, aber er verlor in Madagaskar alles wieder an einen Räuber.
    Wie kann man einem anderen das Geld, das er verdient hat, wegnehmen und anschließend ruhig schlafen?
    Sie tranken, was die Jugend eben so trank, Cola und Cider, und Vatanescu begnügte sich damit, in der nächsten Spielrunde als Bankier zu fungieren.
    Bei diesem Spiel gibt es dreihundert als Startgeld, immer und für jeden. Im wirklichen Leben haben viele am Start nichts als Hunger und kaputte Schuhe. Soll das so sein? Darüber muss ich nachdenken. Könnte es auch anders sein? Ist Geld die Lösung?
    Ich werde mich ins Bett legen und darüber nachdenken.
    Vatanescus Geist und Körper waren weich und besänftigt und schaukelten sachte hin und her. Er blickte aus dem Fenster und sah ständig das Gleiche: kleine Bahnhöfe, Ansammlungen von nach dem Krieg gebauten Holzhäusern, Gewerbegebiete. Außerdem Wald, Wald und wieder Wald, der immer niedriger wurde, je weiter man nach Norden kam.
    Auf der Grenze zwischen Schlaf und Wachen zuckend, trat Vatanescu der Abend seiner Abreise vor Augen. Miklos hatte schlafend zwischen seiner Großmutter und der Wand gelegen, die Tapete hatte aufgrund der Feuchtigkeit einen Riss gehabt, so wie die Lunge der Großmutter. Den Jungen würde man noch retten können, denn ein Achtjähriger übersteht so ziemlich alles, wenn er nur Saft und Fußballschuhe kriegt. Noch war die Freude daran bei Vatanescus Sohn nicht zunichtegemacht worden, auch wenn die älteren Jungen ihn schon mit Schnüffeltüten lockten. Vatanescu machte ein Feuer im Ofen, holte Holz herein, bemerkte den Blick seiner Mutter und fragte sie, was los sei. Sie sagte, sie wisse, dass er am nächsten Tag fortgehe.
    »Wirst du aushalten, was auf dich zukommt?«
    »Was kommt auf mich zu?«, fragte Vatanescu.
    »Alles Mögliche.«
    »Ich tue es nur für euch.«
    Er legte sich hin, konnte jedoch nicht schlafen, sondern wartete auf den Morgen. Und der Tag wartete auf ihn.
    Tage sind so. Sie brechen an, und wir wissen nicht, was wir von ihnen bekommen werden. Oder was wir ihnen abnehmen dürfen.
    Sind Jegors Männer in unser Dorf gekommen? Haben sie meinen Sohn gesucht? Ist mein Wert so hoch?
    Die jungen Leute hier haben auf dem Weg ins Leben ihre Eltern verlassen.
    Ich habe mein Kind verlassen.

Wie soll man einem deutschen Leser das finnische Lappland bildhaft beschreiben? Mit Zaubertrommeln? Mit Baustellengeräuschen? Mit samischen Trachten? Mit russischen Geländewagen, betrunkenen britischen Touristen und finnischen Filmschauspielern? Mit einer Gruppe holländischer Motorschlittenfahrer, rotwangig und mit breitem Lächeln nach dem Extrem-Erlebnis? Mit einer Finnrock-Band wie Popeda oder der Schlagersängerin Paula Koivuniemi, die während der Wintersportsaison im »Verrückten Rentier« auftreten? Mit Dienstreisenden, die sich in billigen Hotelzimmern vereinigen? Mit lebenden Rentieren oder lieber mit Fleischprodukten vom Ren? Mit alldem zusammen müsste man es beschreiben, aber da erreichte der Zug auch schon rumpelnd sein Ziel, gezogen von einer guten alten Sowjetlokomotive, deren Dieselmotor von den Großvätern bis zu den Enkeln überdauert.
    Vatanescu stand am letzten Bahnhof des kleinen Landes, mehr als tausend Kilometer nördlich von seinem Ausgangspunkt. Die jungen Leute schenkten ihm die Winterklamotten, die sie für den vierten Reisenden mitgebracht hatten, sowie eine von Jonttu gestrickte Mütze und ein Tragetuch fürs Kaninchen.
    Vatanescu zog die Steppjacke übers Sakko und stieg in die Thermostiefel. Er versprach, die Hilfe, die er bekommen hatte, zu vergelten, notierte sich die Kontonummern seiner

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