Bettler und Hase. Roman
Bedingungen beklagt und auch nicht in Bluesia, aber vor Nasses Kiosk tat ich es. Der Wind stach und schnitt mich. Ich wollte nichts als unter der Decke liegen, die Vorhänge zu, die Birne leer. Ich versuchte, mir eine Kippe anzustecken, aber der Wind war anderer Meinung. Ich schob die Hände, so tief es ging, in die Taschen, und es ging ziemlich tief, schon allein weil keine Rubel oder Taler im Weg waren. Ich stellte den Kragen hoch und fragte mich, ob ich wie de Niro in »Taxi Driver« aussehe.
Scheiße, nein. Ich sah nach dem aus, was ich war, nach dem totalen Loser.
Schließlich machte ich die Tür auf und ließ den Wind draußen, bat Nasse um eine weiche, rote Packung Zigaretten und einen kleinen Kaffee, schwarz. Davon lebte ich. Von Rot und Schwarz. Nasses Kaffee war wie Öl, mein Leben wie Altöl.
Nasse freute sich, weil ich mich aufgerafft hatte und aus meiner Bude rausgekommen war, seiner Meinung nach sollte ich so weitermachen. Eine neue Richtung für mein Leben finden.«
Allerdings hatte Jegors Leben durchaus eine Richtung: abwärts. Und der eigentliche Grund, weswegen er in Naseem Hasapatilatis Kiosk kam, war sein stillgelegter Telefonanschluss, der es ihm unmöglich machte, seine Bestellung wie gewohnt telefonisch aufzugeben. Ansonsten interessierte er sich für nichts; die Morgenerektion hatte ihn verlassen, abends wurde er nicht heiß, nachts hatte er keine Lust, abzuchecken, was geht, oder Mist zu bauen.
Ein klitzekleines Gefühl von Sicherheit versuchte sich Jegor aus der Zeitung seiner Heimatstadt zu holen, die Naseem Hasapatilati gratis für ihn in den Kiosk bestellte. Eine solche Freundlichkeit rührte Jegor, machte ihn aber auch misstrauisch, denn er glaubte nicht daran, dass jemand selbstlos war oder keine Hintergedanken hatte. Niemand hatte ihm jemals kostenlos einen Dienst erwiesen, und umgekehrt galt dasselbe.
»Vielleicht stammte Nasse gar nicht aus Kalkutta, sondern aus Nazareth.
Ich las die Ergebnisse und die Spielberichte von Avangard Omsk, es lief schlecht für sie, denn der Saisonbeginn gibt für die ganze restliche Saison die Richtung vor. So also ist es unsereinem seit Vatanescus Schweinefest ergangen, und jetzt hatte meine Lieblingsmannschaft auch noch einen finnischen Coach engagiert, plus irgendwelche Wasserträger aus der dritten Reihe von Hämeenlinna oder Lahti. Es sah also schlecht aus.
Ich zündete mir eine Fluppe an. Nasse meinte, drinnen darf man nichts anstecken, aber das sagt er immer. Das war ein Running Gag zwischen uns, weil in Sankt Petersburg und Kalkutta immer und überall alles angesteckt wird, Buchhaltung und Menschen. Außerdem würden ja wohl kaum EU -Beamte reinkommen und uns an die Direktiven erinnern.
Ich musste husten, roter Schleim flog mir aus dem Hals und landete auf dem Fußboden, ich hustete und prustete, keine Ahnung, ob das Blut oder Morgenschlacke war. Irgendwie war es mir egal, von mir aus hätte es auch Lungenkrebs sein können, der an Kugars letzten Tagen kratzt.«
Es klingelte im Windfang, die Boulevardblätter wurden gebracht. Naseem schnitt die Haltebänder auf und sortierte die Zeitungen ins Gestell. Dann hängte er die Händlerschürzen mit den Schlagzeilen hin.
Jegor war vom Sportteil zu den Comics übergegangen, die ihn aber nicht zum Lachen brachten. Eher ärgerte es ihn, dass es auf der Welt Menschen gab, die von Berufs wegen zeichnen durften und dafür obendrein Respekt ernteten; manche wurden sogar prominent. Jegor dachte verbittert an die zwei Jahrzehnte zurück, die er der Organisation geopfert hatte, ohne Rente, ohne betriebliche Gesundheitsfürsorge. Ständig erreichbar, bei vollem Unternehmerrisiko. Und der Rausschmiss war der Dank.
Er zertrat die Zigarette und trank den Kaffee aus. Am Becherboden blieb schwarze Schlacke zurück, das, was von Jegors Lebenswillen und Energie noch übrig war. Gerade noch dampfender, starker Kaffee, jetzt nur noch ein Becher, den man zusammenknüllte und am Mülleimer vorbeiwarf.
Jegor schaute aus dem Fenster. Der Weg zu seiner Haustür schien kilometerlang zu sein. Er verabschiedete sich von Naseem und verließ den Kiosk. Es fiel Schneeregen. Bei einem Bus drehten die Räder an der Haltestelle durch, Alkoholiker sangen ein Marschlied.
Jegor fiel ein, was er schon als Kind begriffen hatte. Die Menschen waren Tiere. Konkret und bildlich. Absolut alle, wir, ihr und sie.
Naseem Hasapatilati trug das Zeitungsgestell nach draußen.
Jegor Kugar warf einen Blick auf die Hauptschlagzeile, obwohl
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