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Bettler und Hase. Roman

Bettler und Hase. Roman

Titel: Bettler und Hase. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tuomas Kyrö
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der Boulevardpresse waren bloß der Anfang gewesen, das ganze Ausmaß der Situation machte erst die Suchmaschine deutlich, die für Vatanescu hunderttausend Treffer anzeigte.
    »Dank dem Übersetzungsprogramm von Gugel kam ich mit den Texten klar. Allerdings sagten die Bilder auch schon genug. Der Kerl zog von A nach B und sah dabei aus wie ein Fausthandschuh, aber alle waren wegen ihm voll kraysie. Ich konnte die ganzen Behauptungen über Vatanescu, die mir da entgegengeschleudert wurden, absolut nicht schlucken:
    Symbol des Downshiftens.
    Retter eines nationalen Schatzes.
    Whaaaat!!!«
    Als Jegor Kugar erkannte, welch großer Beliebtheit sich Vatanescu in den sozialen Medien erfreute, ließ er sich ebenfalls bei Facebook registrieren. Er wollte seinen Marktwert testen.
    »Einen Freund bekam ich. Meine Mama. Sie wollte wissen, wann ich sie besuche, sie hatte keinen Schnaps mehr. Ich klickte auf ›gefällt mir‹. Dann antwortete ich meiner Mamuschka: Ich komme, ich komme; du musst mir bloß ein paar Dinge zur Verfügung stellen, die du in meiner Kindheit vergessen hast: Liebe, Schutz, Wärme, Nahrung.«
    Nach dieser Erfahrung fiel es Jegor Kugar erst recht schwer, Vatanescus Gesicht zu ertragen, das ihm auf YouTube, als Rausschmeißer der Nachrichten im dritten Programm und in einer Talkshow begegnete.
    »Warum wurde in keinem Beitrag gesagt, was er wirklich war?! Ein Dieb und ein Vertragsbrecher. Ein rumänischer Betrüger.
    Und dann hat der Kerl die ganze Zeit so eine beschissene Ratte dabei, wegen der die Leute erst recht kraysie waren. Mit dem Viech heimste Vatanescu nämlich dicke Tränen ein. Voll die vulgäre Berechnung. In den Leserbriefspalten wurde überlegt, ob vielleicht eine Werbeagentur diesen Typen, der zufällig immer am richtigen Ort war, erfunden haben könnte. Und die Baum-Umarmer waren der Meinung, Vatanescu sei das klare Statement dazu, was es heiße, ein obdachloser Vagabund zu sein.«
    Aber das Schlimmste für Jegor sollte erst noch kommen. Das Schlimmste stand in der russischen Zeitung, in der er die Eishockeyresultate seiner Lieblingsmannschaft nachlas.

Sanna Pommakka wollte keine Pferde pflegen und auch nicht Krankenschwester werden wie die anderen Erstklässlermädchen ihrer Grundschule in Helsinki-Puistola. Sie wollte andere Menschen täuschen und irreführen. Sie wollte zaubern. Sanna Pommakka wollte, dass die Leute staunten und sich wunderten, wie sie es gemacht hatte. Diesen Trick. Und den nächsten erst.
    Im Jahr 1981 fand die damals Siebenjährige in einer Zweigstelle der Stadtbibliothek ein Zauberbuch von Solmu Mäkelä, »Der Knoten«, und in dem Moment war sie sich über ihre Zukunft im Reich der Magie sicher.
    Sie stopfte ein Tuch in ihre Faust und zog acht Tücher hervor. Sie ließ Münzen verschwinden. Sie wusste, an welche Zahl und welche Farbe ihr Vater im Kartenstoß gedacht hatte. Sie bekam den Applaus, das Staunen und die Verwunderung, die sie sich wünschte. Als ihr der Weihnachtsmann dann auch noch einen Zauberkasten schenkte, fehlte nicht mehr viel bis zur Vollkommenheit.
    Aber die Akzeptanz und das Lob, das ein Kind zu Hause erntet, sind trügerisch angesichts dessen, was unter Gleichaltrigen geschieht. Die Eltern wollen, dass ihre Kinder frohen Mutes sind, und genau das führt später zu Missmut. Als Sanna ihre Künste in der Schule zeigte, wussten dort alle, wie der Trick geht. In der letzten Reihe brach Pertti in boshaftes Gelächter aus, weil aus Sannas Ärmel die dort versteckten Münzen rieselten. Pertti bekam zwar Nachsitzen, aber was war das schon im Vergleich zu der Demütigung, die Sanna erfahren hatte? Nichts als das Brummen einer Fliege im Ohr.
    So ist die Kindheit; ein falsches Wort, ein Lachen, ein schlechter Morgen des Lehrers und die daraus resultierende ungerechte Note, was womöglich nicht einmal so gemeint ist – all das kann bei einem kleinen Menschen dem ganzen Leben eine neue Richtung geben. Es kann ihm den Glauben nehmen und den Unglauben einimpfen.
    Sanna Pommakka hatte sich zu viel auf sich eingebildet, jetzt wählte sie den sicheren Weg und bildete sich überhaupt nichts mehr auf sich ein. Fortan würde sie keinerlei Anstrengungen unternehmen, sondern als stiller, kleiner Mensch in der mittleren Bank sitzen, vom siebten Lebensjahr bis zum Tod.
    Anstatt aufs Zaubern konzentrierte sie sich auf ihre durchschnittliche Existenz, also aufs Überleben. Ihre Jungfräulichkeit ging an Pertti aus der letzten Reihe, nicht zu früh, nicht zu spät. Er

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