Beutewelt 04 - Die Gegenrevolution
ganzen Struktur in dieser Stadt, in der Uliza Nekrasova: Das Haus der Gerechtigkeit.“
Artur Tschistokjow deutete auf eine große Leinwand.
„Und das ist Theodor Soloto, der Leiter der St. Petersburger KVSG und der führende Kopf von Uljanins Bewegung im westlichen Russland!“
„Was für eine unsympathische Hackfresse“, zischte Frank auf Deutsch und krallte sich am Holz des Konferenztischs fest.
„Was?“, kam auf Russisch von der Seite.
„Nichts!“, erwiderte Kohlhaas kopfschüttelnd und sah seinen Nebenmann an.
Artur redete jetzt immer schneller und Kohlhaas spitzte die Ohren.
„Dieser Soloto ist sehr gefährlich und verdammt skrupellos!“, warf der Leiter der Freiheitsbewegung von St. Petersburg, Juri Lebed, ein rotblonder Mann Anfang 30, mit ernstem Blick in die Runde.
„Kannst du uns weitere Dinge über ihn sagen?“, fragte Tschistokjow.
Lebed überlegte kurz und erwiderte: „Dieser Soloto ist so in meinem Alter. Ich habe gehört, dass er angeblich Philosophie und Sozialwissenschaften in Moskau studiert haben soll. Irgendwann hat er sein Studium abgebrochen und ist zur KVSG gegangen. Dort hat er schnell Karriere gemacht. Viele fürchten ihn aufgrund seiner Hinterlistigkeit und Skrupellosigkeit. Clever, gerissen ist er, wie ein Fuchs.“
„Wir werden ihn trotzdem besiegen! Egal wie listig er ist!“, donnerte der weißrussische Präsident und starrte das Foto auf der Leinwand, das Soloto mit einem zynischen Grinsen im Gesicht zeigte, wütend an.
„Im Juni werden wir in der Innenstadt demonstrieren und direkt am Haus der Gerechtigkeit vorbeiziehen!“, ergänzte der blonde Rebellenführer.
Frank schnaufte und einige Männer schauten sich besorgt um. Der eine oder andere äußerte Einwände.
Doch Artur Tschistokjow winkte ab und erklärte: „Ich verstehe, dass ihr Angst habt. Und glaubt nicht, dass ich keine habe. Das wird nicht angenehm, aber es ist notwendig, wenn wir St. Petersburg für uns gewinnen wollen!“
Der Anführer der Rus hatte Recht, das sah letztendlich auch Kohlhaas ein. Sie mussten über kurz oder lang in das Herz der Metropole vorstoßen. Es bedeutete allerdings, dass ihnen wieder heiße Tage bevorstanden.
Alf war mit Svetlana nach Ivas gefahren und verbrachte einige ruhige Tage mit seiner neuen Freundin. Frank hingegen befand sich nach wie vor in Minsk und wurde von Tschistokjow ständig zu neuen Besprechungen geladen.
Auch Wilden besuchte ihn des Öfteren und hielt ihm Vorträge über den weiteren Verlauf des politischen Kampfes. Der General wirkte hingegen langsam erschöpft und überfordert. Manchmal ging er überhaupt nicht mehr ans Telefon und verkroch sich wie ein krankes Tier in seiner Wohnung.
Die letzten Wochen hatten erneut stark an seinen Kräften gezehrt und in den wenigen ruhigen Stunden dachte er an Julia, sinnierte über eine gemeinsame Zukunft und wäre am liebsten wieder nach Ivas verschwunden. Sogar sein Freund Alf war ihm mittlerweile in Frauenfragen zuvorgekommen und schwärmte ständig von Svetlana. Zwar war die junge Russin mit dem kastanienbraunen Haar und den leuchtenden grünen Augen ihm durchaus sympathisch, doch empfand er auch einen gewissen Neid, wenn er Bäumer und sie Arm in Arm herumspazieren sah.
Svetlana studierte an der Minsker Universität und wollte genau wie Julia Grundschullehrerin werden. Sie war immer höflich und nett, deshalb konnte sich Frank auch nur schwer erklären, wie eine so zarte und hübsche Frau ausgerechnet an einen hünenhaften Haudegen wie Alf geraten konnte.
Aber im Bezug auf Julia und ihn hätte man sich durchaus die gleiche Frage stellen können – allerdings war die hübsche Blondine aus Ivas aufgrund ihres Vaters zumindest „vorbelastet“.
„Die Wege der Liebe sind unergründlich“, sagte Kohlhaas manchmal leicht melancholisch zu sich selbst, wenn er Alf und Svetlana zusammen sah. Es war wirklich ein seltsames Pärchen. Der breitschultrige, bärtige Kämpfer, vor dessen Körperkraft selbst Frank Respekt hatte, und die angehende Grundschullehrerin, die erzählte, kleine Kinder und Hundewelpen lieb zu haben.
Aber offenbar hatte es zwischen den beiden richtig gefunkt und sie schienen sich prächtig zu verstehen. Wenn Alf und Svetlana den General in seiner Wohnung in Minsk besuchten, dann hörte man oft nur die aufgeregte, helle Stimme der jungen Russin und ab und zu das gemütliche Brummen ihres hünenhaften Freundes. Gelegentlich erinnerte Bäumer Frank an einen Braunbären, der sich mit einem
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