Beutewelt 06 - Friedensdämmerung
herauskrochen und endlich kapitulierten.
Damit war die Eroberung Warschaus Ende September endgültig abgeschlossen und das politische und logistische Zentrum des Verwaltungssektors Europa-Ost in die Hände der Rus gefallen. Der Kampf um die ehemalige Hauptstadt des Staats Polen war keine spektakuläre Schlacht gewesen, eher ein systematisches Zertrümmern der zahlenmäßig weit unterlegenen Feindstreitkräfte mit überlegenen Mitteln. Viele der Volksarmisten brachen dennoch in einen ungebremsten Siegestaumel aus und auch Artur Tschistokjow sprach von einem „heldenhaften Triumph der Freiheit“. Doch Frank und Alf, die selbst dabei gewesen waren, sahen die Angelegenheit weitaus nüchterner. Trotz allem aber war die größte und wichtigste Stadt auf polnischem Gebiet jetzt eingenommen worden und den wenigen verbliebenen GCF-Streitkräften im Verwaltungssektor Europa-Ost blieb nur noch der Rückzug nach Westen.
Eine Welle der Euphorie ergriff Tschistokjows Soldaten nach dem Fall von Warschau und die meisten von ihnen konnten es kaum fassen, wie problemlos sie durch das übrige Polen hindurchstoßen konnten. Bis nach Poznan konnten sämtliche Städte ohne nennenswerten Widerstand von der Volksarmee besetzt werden. In der ersten Oktoberwoche versuchte der polnische Kollektivistenführer Gregor Wainizki mit einigen Hundert bewaffneten Milizionären die Stadt Opole im Südwesten Polens gegen die Rus zu verteidigen, doch dieser Versuch war geradezu lächerlich. Es dauerte keine zwei Tage, da waren Wainizki und seine Anhänger von den Warägern aus ihren Stellungen getrieben und niedergemacht worden.
Bald erreichten die Soldaten der Volksarmee der Rus jenen Teil Polens, der vor über 100 Jahren noch ein Teil des Deutschen Reiches gewesen war. Und auch hier regte sich keine bedeutsame Gegenwehr, denn die meisten GCF-Verbände waren schon längst nach Deutschland oder in die Tschechei geflüchtet.
Das polnische Volk selbst verhielt sich nach wie vor passiv, es schien ihm egal zu sein, was sich gerade in seinem Heimatland abspielte. Sicherlich war Artur Tschistokjow, obwohl dieser selbst nicht viel von den Polen hielt, den meisten von ihnen wesentlich lieber als die Weltregierung, doch großartige Begeisterungsstürme erntete er deshalb nicht.
Als Frank und Alf durch die polnischen Städte und Landschaften fuhren, waren sie ihrerseits immer wieder verwundert, wie heruntergekommen dieses Land war. Der größte Teil der mittlerweile vollkommen zerbröckelten Infrastruktur Polens war über 100 Jahre alt oder noch älter. Sämtliche Städte verfielen, manche erschienen fast so, als wären sie bereits von ihren Bewohnern aufgegeben worden. Armut und Lethargie hatten sich den Polen seit Jahrzehnten bemächtigt und seit 2018, als die Weltregierung die Macht auf Erden übernommen hatte, war alles noch schlimmer geworden.
Frank bezeichnete Polen in diesen Tagen mehrfach als „abgestorbenes Land“ und hatte damit nicht Unrecht. Als sie schließlich in den westlichen Teil des Gebietes, der ursprünglich zu Deutschland gehörte hatte, kamen, mussten sie erkennen, dass auch hier die Städte und Dörfer verfallen und verkommen waren. Es war ein bedrückendes Gefühl, die ehemals schönen Fassaden der alten Häuser verfaulen zu sehen. Frank befürchtete allerdings, dass es in seiner alten Heimat inzwischen auch nicht viel besser aussah.
Und während sich die Volksarmee bis an die Grenze des Verwaltungssektors Europa-Mitte vorkämpfte, reagierte das übrige Europa auf Tschistokjows Angriff. Rupert Goldner, der oberste Verwalter in Mitteleuropa, ließ auf Anweisung des Weltverbundes am 17.10.2050 die Generalmobilmachung ausrufen und begann mit der Aufstellung zusätzlicher Truppen. Sein Amtskollege im Verwaltungssektor Europa-Süd folgte ihm einen Tag später und alle verfügbaren GCF-Soldaten wurden in Richtung Deutschland und Österreich abkommandiert.
Dieter Bückling, der Sub-Gouverneur, der Deutschland direkt verwaltete, äußerte vor der Weltöffentlichkeit seine „tiefe Betroffenheit über den russischen Militarismus“. Weiterhin betonte er, dass sich jetzt vor allem die deutsche Restbevölkerung bemühen müsse, möglichst viele Soldaten für die GCF zu stellen, um mit diesem „Opfer für den Weltfrieden“ endlich ihre historische Schuld von vor 100 Jahren zu begleichen.
„Europa wehrt sich gegen die russische Aggression!“, titelte derweil die New Britain Times aus London und überall in der alten Welt begannen die
Weitere Kostenlose Bücher