Beverly Barton, Hexenopfer
gegangen. Sag ihm, das Abendessen ist noch nicht ganz fertig.«
Sally schmollte und schaute Ludie wütend an.
Genny machte die hintere Tür auf. »Ich bin nicht lange weg. Und ich nehme Drudwyn als Leibwächter mit.«
Als sie in ihren Mantel schlüpfte und über die Veranda hinunter in den Hof ging, hörte sie, wie Sally und Ludie ihren nie enden wollenden Streit wieder aufnahmen. Jazzy und sie hatten oft über die eigenartige Freundschaft der alten Frauen gelacht. Wer sie nicht kannte, würde schwören, dass sie sich nicht leiden konnten.
Drudwyn kam auf sie zugelaufen, sobald er Gennys Gegenwart wahrnahm. Sie kniete nieder und umarmte ihn. Dann bedeutete sie ihm, ihr zu folgen.
Nachdem sie über die Stufen den Hügel hinuntergegangen war, wandte sich Genny nach Westen. Vor ihr lag eine Meile einigermaßen gerader, ebener Straße. Mit der rasch untergehenden Sonne war der Abend kalt geworden. Genny holte ihre Mütze und die Handschuhe aus den Manteltaschen. Sie ging mit Drudwyn etwa eine Viertelmeile, bevor sie auf Dallas traf, der wieder auf dem Rückweg zum Haus war. Als noch knapp zehn Meter zwischen ihnen lagen, blieb er stehen und sah sie an. Sie hob die Hand und winkte. Er winkte zurück. Zunächst gingen sie in normalem Tempo aufeinander zu, legten dann einen Schritt zu, bis sie sich am Ende förmlich in die Arme liefen. Dallas packte sie an den Schulten. Genny atmete schwer, und ihr warmer Atem bildete Dampfwolken vor ihrem Mund. Sie schaute zu Dallas auf und lächelte.
»Was machst du hier draußen?«, fragte er.
»Ich bin gekommen, um dir zu sagen, dass das Abendessen bald fertig ist.«
»Wie geht es dir?«
»Ganz gut.«
»Keine bleibenden Nachwirkungen?«
Sie schüttelte den Kopf.
Dallas’ linke Hand glitt von ihrer Schulter, über ihren Arm bis zu ihrem Handgelenk. Die Finger seiner rechten Hand fuhren in ihre Haare, und ihre Strickmütze geriet in Schräglage.
»Du ahnst ja nicht, welche Sorgen ich mir um dich gemacht habe.«
»Tut mir leid, dass du beunruhigt warst.«
»Mir tut es leid, dass du das durchmachen musstest …«
Sie legte ihm die Finger an die Lippen. »Danke, dass du so gut auf mich aufgepasst hast.«
»Genny …«
Sie bemerkte einen eigenartigen Ausdruck in seinen Augen. Urtümlich. Besitzergreifend. Ein urzeitliches Verlangen. Er wollte sie – auf die elementarste Weise, wie ein Mann eine Frau begehren kann. Diese Art von Begierde verstand er. Aber ihr war klar, dass er nichts von dem noch größeren Bedürfnis wusste, das seine Sinne überwältigte. Eine Leidenschaft des Geistes. Der Wunsch nach ewiger Bindung.
Sie wartete, denn sie wusste, was kommen würde. Wollte es. Brauchte es. Ebenso wie er.
Seine Lippen legten sich auf ihre, während er sie in seine starken Arme schloss. Eine hungrige, verschlingende Inbesitznahme, und doch abgemildert durch die Zärtlichkeit, die er ihr gegenüber empfand. Sie reagierte mit gleicher Hingabe.
Der Kuss dauerte lange, und als sie nach Luft schnappten, bewegte Dallas seine Lippen weiter bis an ihr Ohr, dann ihren Hals hinunter bis zu ihrer Kehle. Sie rieb sich an ihm, ihre Brüste an seiner Brust, ihre Beine an seinen. Dann küsste er sie wieder. Tiefer. Noch intensiver.
Ich liebe dich, sagte Genny ihm telepathisch, denn sie wusste, dass er noch nicht bereit war, die Worte laut zu hören.
Drudwyn winselte. Langsam beendete Dallas den Kuss und hob den Kopf. Genny seufzte.
»Was bist du, unsere Anstandsdame?« Dallas schaute den Wolfshund direkt an.
Genny lachte. »Ich glaube, er hat einfach nur Hunger. Er weiß, dass Ludie gebratene Hähnchen zum Abendessen gemacht hat.«
»Dann sollten wir vielleicht wieder zum Haus gehen.« Dallas legte seinen Arm um ihre Taille.
»Du bleibst nicht über Nacht bei mir, nicht wahr?«, fragte sie, als sie sich umdrehten und wieder nach Osten gingen.
»Sally hat mir gesagt, sie wolle heute Nacht bei dir bleiben«, erwiderte Dallas. »Und als Ludie das mitbekam, beschloss auch sie zu bleiben.«
Genny nahm Dallas’ große Hand in ihre kleine. »Ich habe eine Idee, wie ich dir helfen kann, den Mörder zu finden. Morgen komme ich in die Stadt und …«
»Was hast du vor?« Dallas ging langsamer und umschloss nun seinerseits ihre Hand.
»Ich kann versuchen, mich wieder mit dem Geist des Mörders zu verbinden. Heute Morgen habe ich es für ein paar kurze Augenblicke gemacht.«
»Nein, verdammt!« Dallas blieb mitten auf der Straße stehen. »Das ist zu gefährlich für dich. Oder
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