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Bevor Alles Verschwindet

Bevor Alles Verschwindet

Titel: Bevor Alles Verschwindet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Scheffel
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Unbekannten die Schale mit den Kartoffeln und ein Messer, sie sagt: »Schälen, bitte.«
    Und als er sitzt, mit einer Kartoffel vom Friedhofsacker in der rissigen Hand, und so sorgfältig schält, als schnitzte er eine buddhistische Mehrarmfigur, mustert sie ihn noch einmal von oben bis unten und geht dann ins Haus, gucken, was sich noch machen lässt.
     
    Er macht sich schnell ein Brot mit Käse und Marie macht er auch eins, und zwar mit Leberwurst, und als Clara in die Küche kommt, holt Robert ihr den Joghurt aus dem Kühlschrank.
    »Danke.«
    »Wollen wir reden?«, fragt Robert und kommt sich im selben Moment albern vor wegen dieser Floskel. Clara antwortet nicht, sie wischt Marie die Erdbeermarmelade aus dem Mundwinkel. Marie windet sich, Clara nimmt ihr den Totenkopf aus dem Arm. Marie schluckt, beschwert sich aber nicht. Clara drückt den Kopf in Roberts Hände.
    »So etwas gehört hier nicht hin.«
    »Es ist nur ein Kopf«, sagt Robert. »Der ist aus Plastik.«
    »Marie hat genug Spielzeug und das ist wohl kaum der richtige Zeitpunkt, ihr einen Schädel zum Spielen zu geben.«
    »Der ist für mein Proteststück«, sagt Robert.
    »Dann lass ihn im Wirtshaus.« Nie sagt Clara Probenraum, nie sagt sie Theater, sie tut immer so, als wäre das, was Robert macht, nur ein Hobby und ihre Praxis allein die Realität.
    »Ihr solltet reden«, sagt Marie, »und ich sollte zuhören dürfen.«
    »Da hast du recht«, sagt Clara, und Robert ist fassungslos. Die Vorstellung, das alles vor Marie zu besprechen, macht es nicht besser, sondern unmöglich. Robert lenkt ab.
    »Ich werde heute nicht auftreten.«
    »Wenn du meinst«, sagt Clara und schüttet sich etwas von den farblosen Müsliflocken in den Joghurt. Sie rührt immer siebenmal um, auf Robert wirkt sie beruhigend, Claras Regelmäßigkeit.
    »Du meinst nicht, dass ich vielleicht doch auftreten sollte?«
    »Mach, was du willst.«
    »Wahrscheinlich kommt heute ohnehin niemand.«
    »Wahrscheinlich.«
    Marie schnappt sich Roberts Hand, nimmt Clara den Joghurt weg, führt die Hände ihrer Eltern zusammen.
    »Ihr müsst euch vertragen«, sagt sie.
    »Wir vertragen uns doch«, sagt Robert, er klingt beleidigt. »Jedenfalls werde ich die Zeit nutzen und mir etwas überlegen. Ein Stück. Etwas Konkretes. Etwas, das zu der gegenwärtigen Situation passt.«
    »Gut«, sagt Clara, und Marie springt auf.
    »Ich helfe dir.« Robert drückt erst Claras Hand, dann Maries.
    »Na dann«, sagt Clara. »Dann geh ich jetzt mal in die Praxis, vielleicht sind ein paar Grippepatienten da.«
    »Heute Abend kochen wir Spaghetti«, sagt Marie. »Ihr müsst pünktlich zurück sein.«
    »Abgemacht«, und Clara geht in die Praxis, in der niemand auf sie wartet, und Robert nimmt Marie das Versprechen ab, keinen Unsinn zu machen, er eilt kurz zum Theater, um den Ausfall der Vorstellung anzuschlagen, und Marie geht in ihr Zimmer, wo sie an ihrem Bären und der glatzköpfigen Puppe die unbedingt notwendige Operation an Mona nachstellt und immer an den Schädel denken muss.
    »Der Schädel wäre ein guter Assistenzarzt«, sagt sie zu
Puppe und Bär, »einen Assistenzarzt hat Mama nicht.« Marie murmelt »Blutung, Blutung«, für sie ist die Flutung immer noch die Blutung und somit Teil ihrer beruflichen Zukunft. »Keine Sorge, Jula, Jules, Mona, ihr alle. Keine Sorge, ich kümmere mich.«
     
    Greta wird aufpassen, dass der Unbekannte nicht erfriert und nicht verhungert. Mehr kann sie nicht für ihn tun, er gehört nicht zu ihr, denn sie gehört zu Ernst, und würde sie an den Fremden ihr Herz verlieren oder ihre Gedanken nachts in Sorge um ihn winden, dann würde sie Ernst verraten in den schlechten Zeiten und vom Tod bisher ganz und gar nicht geschieden.
    Sie darf ihm eine heiße Milch mit Honig bringen gegen seinen Dauerhusten, sie darf fragen, wie es ist, sie darf auch fragen, was er mit seiner Jacke gemacht hat, aber mehr darf sie wirklich nicht. Er ist ein Unbekannter, einer mit Geheimnissen von anderswo, mit einer eigenen Geschichte, die sich erst seit wenigen Tagen mit der des Ortes verbindet, jemand Neues, eine Rarität sozusagen, die der Ort als überflüssigen Ramsch beäugt, mit so einem muss man vorsichtig sein.
    Wahrscheinlich wäre Ernst nicht so standhaft wie sie, er würde den Jungen in dieser stechenden Jahreszeit in das Häuschen holen und ihn nicht auf der Bank sitzen lassen. Aber Greta ist nicht Ernst, Greta muss Greta sein, damit jemand an Ernst denkt, Ernst hat nämlich nie an sich

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