Bevor der Abend kommt
länger trug, als Cindy sich erinnerte, möglicherweise, um Narben einer noch nicht lange zurückliegenden Schönheitsoperation zu überdecken, dachte Cindy ungnädig und fragte sich, ob die Frau ihre Kleidung passend zu den beiden dunkelblauen Stühlen vor dem riesigen Eichenholzschreibtisch aussuchte. »Wo ist er?«
»Er ist in einer Besprechung.«
»Er ist seit heute Morgen um neun Uhr in einer Besprechung.«
»Ich habe ihm Ihre Nachrichten übermittelt.«
»Ich muss mit ihm reden, Irena. Es ist ziemlich dringend, sonst wäre ich nicht hier.«
»Cindy …«
»Könnten Sie ihn für mich holen? Bitte?«
»War das nicht Cindy Carver, die hier gerade vorbeigekommen ist?«, fragte ein Mann in der Tür.
Cindy atmete tief ein und zwang sich zu einem Lächeln, als sie sich einem der Kanzlei-Partner ihres Ex-Mannes zuwandte und die Hand ausstreckte. »Hallo, Alan. Wie geht es Ihnen?«
»Mir geht es gut. Und wie halten Sie sich?«
»Heute ist kein besonders guter Tag.« Cindy staunte über ihr eigenes Understatement und hätte vielleicht sogar gelacht, wenn Alan Reynolds nicht so ernst ausgesehen hätte. »Sie haben bestimmt die Bilder in der Sun gesehen.«
Alan Reynolds nickte. »Ich nehme an, Sie warten auf Tom.«
»Er sitzt offenbar in einer dieser ganztägigen Besprechungen fest.« Cindy sah Irena an, die verlegen nickte.
»Wirklich? Nun, dann machen sie wohl gerade eine Pause. Ich habe ihn eben gesehen. Er hat mit Mitchell Pritchard gesprochen. Warten Sie, ich versuche, ihn zu holen.«
»Das wäre wirklich sehr nett.«
»Kann ich Ihnen in der Zwischenzeit etwas anbieten? Eine Tasse Kaffee? Vielleicht ein Wasser?«
»Nein danke, nichts.«
»Gibt es irgendwelche Neuigkeiten über Julia?«, fragte Irena, als er gegangen war.
»Haben Sie die Fotos in der Sun nicht gesehen?«
»Doch, die habe ich gesehen.«
»Ziemlich beeindruckend, finden Sie nicht auch?«
Irena trat von einem Fuß auf den anderen und sah aus, als würde sie ernsthaft erwägen, aus dem Fenster im 25. Stock zu
springen. »Wenn ich in dieser schwierigen Zeit irgendetwas für Sie tun kann …«
Du wärst bestimmt die Erste, die ich anrufe, dachte Cindy. Laut sagte sie: »Vielen Dank.« Sie wandte sich dem bis zum Boden reichenden Fenster mit der fantastischen Aussicht auf das Ufer des Sees zu und erblickte ihr eigenes erbärmliches Spiegelbild. Sie trug ihre Standarduniform aus Jeans plus einem ausgebleichten T-Shirt, und ihr Haar war vom permanenten Raufen ganz fettig. Nimm die Hände aus den Haaren , konnte sie Tom tadeln hören. »Wie viele Partner hat die Kanzlei mittlerweile?«, fragte sie Irena, um ihn zum Schweigen zu bringen.
»Sechzehn Partner und achtundvierzig Mitarbeiter.«
»Wow«, sagte Cindy ohne Begeisterung.
»Dazu noch ein Dutzend studentische Praktikanten.«
Cindy fragte sich, ob Irena immer noch mit Tom schlief. Sie verschränkte die Arme vor der Brust, als wollte sie verhindern, dass ihr Herz herausfiel.
»Und Sie wollen ganz bestimmt keine Tasse Kaffee?«
»Nein, wirklich nicht, danke.«
»Also, ich könnte auf jeden Fall eine vertragen«, sagte Tom, der in diesem Moment in einem schicken grauen Anzug und Krawatte mit rotem Muster hereinkam. »Wenn sich das machen lässt.«
»Kommt sofort.« Irena eilte brav aus dem Zimmer und zog die Tür hinter sich zu, um sie dann doch einen Spalt offen stehen zu lassen.
»Und was führt dich den weiten Weg hierher?«, fragte Tom und betrachtete seine Ex-Frau wie ein lästiges Aktenstück.
Cindy ging zur Tür, drückte sie ganz zu und wandte sich wieder ihrem Ex-Mann zu. »Du elendes Miststück«, begann sie.
»Okay, hier sind die Spielregeln«, erklärte Tom und zog sich hinter seinen massiven Eichenschreibtisch zurück. »Keine Flüche. Keine Beschimpfungen. Kein Geschrei.«
»Und kein Scheiß«, sagte Cindy.
Tom schüttelte den Kopf. »Du siehst beschissen aus.«
Tränen brannten in Cindys Augen. Sieben Jahre nachdem er sie verlassen hatte, hatte er immer noch die Macht, sie mit ein paar Worten zu verletzen. »Was zum Teufel ist bloß mit dir los?«
»Was mit mir los ist?«, entgegnete er.
»Wie konntest du das machen.«
»Was?«
»Komm mir nicht mit deinen Spielchen.«
»Ich nehme an, du bist wütend über die Bilder in der Sun .«
»Bilder, die du persönlich dort vorbeigebracht hast, du Drecksack. Versuch nicht, es zu leugnen.«
»Warum sollte ich es leugnen?«
»Warum hast du das gemacht ?«
»Denk doch mal einen Moment lang nach.«
»Worüber?
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