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Bevor der Abend kommt

Titel: Bevor der Abend kommt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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Porträt von Julia gegeben. Woher sollten sie weitere Bilder bekommen
haben? »Was für Fotos, verdammt noch mal?«, fragte sie laut und stürzte sich auf den Zeitungskasten an der Ecke, bevor sie entsetzt vor dem ganzseitigen Foto ihrer Tochter zurückschreckte, die sie, so kam es ihr vor, absichtlich provozierend ansah.
    Julia starrte direkt in die Kamera, als wollte sie den Betrachter mit ihrem Blick herausfordern. Sie trug lediglich den Slip eines schwarzen String-Bikinis und bedeckte mit den Händen kokett ihre nackten Brüste. JULIAS VERBORGENE SCHÄTZE lautete die Bildunterschrift.
    Cindy taumelte rückwärts, als hätte man sie geschlagen. Es war eins der Fotos, die sie in Seans Wohnung gefunden hatte. Tom hatte sie in die Tasche seiner beigen Leinenhose geschoben. Wie war die Zeitung daran gekommen? Und was war mit den weiteren Bildern im Innenteil? Stammten sie aus derselben Serie?
    Sie suchte in ihrer Tasche nach Kleingeld, bis ihr einfiel, dass sie vergessen hatte, welches einzustecken, worauf sie frustriert mit der Faust auf den roten Kasten schlug. Sie sah sich nervös um, um sicherzugehen, dass sie unbeobachtet war, trat dann seitlich gegen den Kasten, rüttelte an dem Griff und versuchte, den Kasten mit Gewalt aufzuziehen, aber das verdammte Ding wollte nicht nachgeben. »Scheiße!«, brüllte sie und drehte sich hilflos im Kreis.
    Eine Frau mit einem kleinen weißen Hund kam um die Ecke. »Verzeihung«, rief Cindy ihr zu. »Sie haben nicht zufällig ein bisschen Kleingeld für eine Zeitung? Ich würde es Ihnen später zurückgeben.«
    Die Frau kniff die Augen zusammen, als wäre sie von einem stinkenden Bettler angeschnorrt worden, hob eilig ihren Hund hoch und wechselte die Straßenseite.
    »Na toll«, murmelte Cindy und rannte die Balmoral Avenue hinunter zurück zu ihrem Haus, wo sie Elvis schon von weitem bellen hören konnte. »Okay, okay«, sagte sie, als sie die Tür
öffnete und versuchte, den Hund davon abzuhalten, sie umzurennen, während sie in ihrer Handtasche nach Kleingeld suchte. »Du darfst ja mitkommen«, erklärte sie Elvis, nahm seine Leine und stürzte wieder aus der Tür.
    »Was ist denn das für ein Aufruhr?«, rief ihre Mutter vom oberen Treppenabsatz.
    »Ich hol nur schnell eine Zeitung«, sagte Cindy. »Geh wieder schlafen.«
    Sie eilte die Stufen hinunter zur Balmoral Avenue und weiter zur Avenue Road. Aber Elvis wollte sich nicht hetzen lassen, sondern blieb wiederholt stehen, um einen Rasen zu beschnuppern oder sein Bein zu heben. »Komm. Komm schon. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.«
    Cindy blieb unvermittelt stehen, als ihr die Absurdität dessen, was sie gerade gesagt hatte, ins Gesicht schlug, als wäre sie gegen eine Mauer gelaufen. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit ? Und ob sie den ganzen Tag Zeit hatte. Und den Tag darauf auch. Und den folgenden Tag. Wie viele Tage, fragte sie sich und den wolkenlosen Himmel erneut flehend. Wie viele grausame leere Tage des Wartens waren noch herumzubringen? Wie viele weitere endlose Tage würde sie in panischer, aber hilfloser Suche nach ihrer Tochter verbringen? Wie viele weitere sinnlose Treffen mit Polizisten, gut gemeinte Gespräche mit Freunden und sadistische Anrufe von Fremden musste sie noch über sich ergehen lassen? Wie viele solcher Tage konnte sie noch ertragen? Wie viele konnte sie überleben?
    So viele, wie es dauert, begriff Cindy, während sie weiter die Straße hinunterging. Welche Wahl hatte sie? »Keine Wahl und keinen Einfluss«, erklärte sie dem Hund, während der den Rücken krümmte und mehrere dampfende Fladen mitten auf den Bürgersteig setzte. »Na super«, sagte sie, als ihr klar wurde, dass sie vergessen hatte, eine Plastiktüte mitzunehmen. Sie blickte hilflos die Straße entlang und fragte sich, was sie machen sollte. Was konnte sie tun? Sie hatte nicht vor, Elvis’
Häufchen mit den Händen aufzuheben. »Ich komme später noch einmal zurück«, entschuldigte sie sich bei der leeren Straße, ging um den unansehnlichen Haufen herum und zog Elvis hinter sich her, bevor er weiteren Schaden anrichten konnte.
    Sie traf gleichzeitig mit einem makellos gekleideten Mann mittleren Alters an dem Zeitungskasten ein. Er nickte ihr zu, warf die passenden Münzen in den Schlitz und entnahm eine Zeitung, wobei er seine Finger unbewusst auf die teilweise entblößten Brüste ihrer Tochter legte. Cindy spürte einen Schrei in sich aufsteigen und wandte sich ab. »Einen schönen Tag noch«, wünschte ihr der

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