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Bevor der Abend kommt

Titel: Bevor der Abend kommt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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»Und was meinst du, wie viele Leichen dort gelagert werden?«
    Tom lachte und leerte sein Glas wieder in einem Zug. »Das hast du mich auch schon auf der Fahrt hierher gefragt.«
    »Wirklich? Und was hast du geantwortet?«
    »Detective Bartolli hat gesagt, neunzig. Offenbar ist das Leichenschauhaus zurzeit zu drei Vierteln gefüllt, die meisten Leichen werden nicht länger als 48 Stunden dort aufbewahrt.«
    »Und die Leichen in der obersten Reihe werden mit einem Gabelstapler heruntergeholt. Jetzt erinnere ich mich.«
    »Du warst ganz besorgt über mögliche Rückenbeschwerden der Mitarbeiter.«
    Cindy schüttelte lachend den Kopf und stützte sich auf der Anrichte in der Mitte des Raumes ab.
    »Alles in Ordnung?«
    »Ich fühle mich von Minute zu Minute besser.« Cindy nahm einen weiteren Schluck. »Und willst du mir deine Bruchbude jetzt zeigen, oder was?«
    »Mit Vergnügen.« Tom machte eine ausladende Handbewegung. »Das ist die Küche.«
    »Die Küche können wir auslassen.«
    »Kochst du noch immer nicht gern?«

    »Ich hasse es.«
    »Das ist wirklich schade, denn wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, warst du eine sehr gute Köchin.«
    »Wirklich? Woher willst du das wissen? Du warst doch nie zu Hause. Was ist denn hier entlang?«, fragte sie, bevor er protestieren konnte. Sie ließ die Kücheninsel los und wandte sich links in den Flur.
    »Das ist die Bibliothek«, erklärte Tom, als sie als Erstes ein mit Holz getäfeltes Zimmer betraten. Bis auf die verglaste Südfront mit Blick auf das Seeufer waren sämtliche Wände mit Regalen voller gebundener Bücher bedeckt.
    »Sehr beeindruckend.«
    »Die Aussicht hilft.«
    »Ich wusste gar nicht, dass der Keks lesen kann.«
    »Fiona ist eine sehr eifrige Leserin«, sagte Tom kurz angebunden, obwohl in seinen Augen ein Lächeln blitzte.
    »Eine Frau mit vielen Begabungen.«
    »In der Tat.« Tom führte Cindy ins nächste Zimmer, dessen eine Wand von einem riesigen TV-Flachbildschirm eingenommen wurde. »Das ist der Medienraum.«
    »Wie ich sehe, magst du immer noch Leder.« Cindy strich verführerisch über das dunkelrote Ledersofa. »Und wo sind die Schlafzimmer?«
    »Hier entlang.« Tom führte sie zurück durch den Flur, vorbei an einem in Marmor gehaltenen Bad rechts neben der ebenfalls marmornen Eingangshalle. »Bist du sicher, dass es dir gut geht?«
    »Bestens«, beteuerte Cindy und folgte ihm. Wie ein Hündchen ihrem Herrn, dachte sie und merkte, dass es ihr längst nicht mehr gut ging, sondern dass sie eher sturzbetrunken war. Viel war nicht nötig gewesen, dachte sie. Eine Leiche, ein paar Wodkas – bald würde sie hilflos torkeln.
    »Das ist das Gästezimmer.«
    Cindy warf einen Blick in den in Grün und Weiß dekorierten
Raum, sah Heathers Jeans über einem kleinen Stuhl mit geblümtem Polster hängen sowie mehrere ihrer Blusen auf der weißen Überdecke des großen Betts liegen. »Es ist reizend.«
    »Es hat natürlich eine eigene Toilette.«
    »Genau wie das Trostzimmer«, stellte Cindy kichernd fest. »Erstaunlich, dass sie immer an alles denken.«
    »Wirklich erstaunlich«, stimmte Tom ihr zu.
    »Glaubst du, dass Granger, McAllister es entworfen haben?«
    »Wer sind Granger, McAllister?«
    »Unsere Nachbarn, die Sellicks . Meine Nachbarn«, verbesserte sie sich und lehnte sich an eine Wand, um nicht umzufallen. »Er ist Architekt bei Granger, McAllister.«
    »Du glaubst, sie haben das Leichenschauhaus entworfen?«, fragte Tom leicht lallend, als er sie in die Schlafzimmersuite führte.
    »Nein.« Cindy kicherte. »Du bist so albern.«
    »Und du bist betrunken.«
    »Das will ich doch hoffen.« Cindy streifte die Schuhe ab und vergrub ihre Zehen in dem weichen, weißen Teppich. »Wow«, sagte sie, als ihr Blick durch den riesigen Raum wanderte. Sie registrierte die Sitzgruppe aus Sofa und Stühlen vor den Südfenstern, die verschnörkelte Kommode an der Wand gegenüber dem riesigen, in meterweise cremefarbene Seide gehüllten Himmelbett. »Sieht aus wie aus Tausendundeiner Nacht . Verbringst du viel Zeit hier?«, fragte sie spitz.
    »Cindy, Cindy », sagte Tom, trat hinter sie, ließ die Hände schwer auf ihre Schultern sinken und drängte sich mit seinen schmalen Hüften von hinten an sie. »Was soll ich bloß mit dir machen?«
    Cindy spürte seinen Atem im Nacken und das vormals vertraute Kribbeln zwischen den Beinen. »Was ist denn hier?«, fragte sie, löste sich aus seinem Griff und steuerte einen kleinen abgetrennten Bereich an. »Wow.

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