Bevor der Abend kommt
Mom.«
»Geht nicht zu weit«, riet sie ihnen, als Cindy und Neil schon auf der Treppe vor dem Haus waren, wo Neil fürsorglich ihren Ellenbogen fasste. »Passen Sie auf, dass sie sich nicht überanstrengt«, rief ihre Mutter ihnen nach.
»Herrgott noch mal, Mom«, hörte Cindy Leigh zischen. »Sie
ist doch kein Kind mehr. Hör auf, sie ständig zu bemuttern. Autsch, mein Arm …«
»Ist auch wirklich alles in Ordnung?«, fragte Neil Cindy, als sie die Straße hinuntergingen.
Cindy spürte, wie ihre Beine mit jedem Meter, den sie sich vom Haus entfernten, kräftiger wurden, ihr Gang mit jedem Schritt fester. »Sobald wir um die Ecke sind, geht es mir bestens.« Der Hund zerrte, weil es ihm offensichtlich zu langsam ging.
Neil nahm Cindy die Leine aus der Hand. »Lass mich das machen.«
»Danke.« Cindy staunte, dass der Hund sofort zu zerren aufhörte und brav neben Neil herlief. »Wie hast du das gemacht?«
»Es kommt auf den Druck an.«
»Was Druck angeht, bin ich nicht besonders gut«, sagte Cindy.
»Irgendwann wird es jedem zu viel.« Sie bogen in die Poplar Plains Road. »Ich nehme an, niemand hat etwas von Julia gehört.«
Cindy nickte und wies nach rechts. »Lass uns in den Park gehen.« Schweigend schlenderten sie ein Stück über die Clarendon Avenue. »Weshalb bist du vorbeigekommen?«
»Ich wollte sehen, was los ist. Ich habe gestern angerufen …«
»Ich habe deine Nachricht erst heute bekommen.«
»Ja, deine Schwester hat erwähnt, dass es beim Telefon keinen Stift und Papier gibt oder so.«
»Sie kommt gern gleich zur Sache.«
»Den Eindruck hatte ich auch.«
Cindy lächelte. »Sie ist eigentlich sehr nett.«
»Ganz bestimmt.«
»Ich sollte nicht so undankbar klingen.«
»Das tust du auch gar nicht.« Sie blieben stehen, damit Elvis an einer Reihe karger gelber und roter Rosensträucher sein Geschäft verrichten konnte. »Als du dich nicht zurückgemeldet
hast, dachte ich mir jedenfalls, dass ich einfach mal auf gut Glück vorbeischaue und selbst nachsehe, wie es dir geht.«
»Und dann hast du mich auf dem Küchenboden liegend angetroffen.«
Er nickte. »Was hat dich eigentlich in Ohnmacht fallen lassen?«
Cindy schüttelte den Kopf. »Ich habe keinen Schimmer. In einem Moment habe ich noch meine Schwester angesehen, im nächsten dann dich.«
»Vielleicht solltest du deinen Hausarzt anrufen.«
»Ich bin sicher, dass meine Mutter genau das gerade macht, während wir uns hier noch unterhalten.«
Sie überquerten die Russian Hill Road und nahmen einen Seiteneingang des Winston Churchill Park. Cindy bückte sich und ließ Elvis von der Leine, der sofort eine Wiese hinauf bis zum Fuß eines steilen Hügels lief. ACHTUNG warnte ein Schild in großen fetten Lettern. GEFÄHRLICHER ABHANG, RODELN VERBOTEN. Um den Fuß des Hügels wand sich ein wackeliger orangefarbener Drahtzaun, und eine Holztreppe führte diagonal auf die Kuppe des Hügels. Als Cindy und Neil ihren Aufstieg begannen, war Elvis den Berg schon halb hinaufgerannt.
»Bist du sicher, dass du das schaffst?«, fragte Neil.
»Geh vor.«
Auf der Hügelkuppe erstreckte sich eine verdorrte Wiese. Oben angekommen, sahen Cindy und Neil Elvis zwischen einem Vater und seinem kleinen Sohn hin und her rennen, die mit einem großen, blau-goldenen Drachen kämpften. Dann lief der Hund weiter zu einem jungen Pärchen, das sich in der Nähe einer Reihe von Tennisplätzen am anderen Ende des Parks sonnte. »Elvis, lass das. Komm sofort hierher zurück«, rief Cindy, als der Hund einem Jogger in hellgrünen Shorts nachsetzte, der den Park auf einem ausgetretenen Pfad keuchend umrundete. Eine ältere Chinesin, die neben einer Betontreppe in einer kleinen Schlucht mit vollendeter Konzentration Gymnastikübungen absolvierte,
machte eine Pause und tätschelte Elvis’ Kopf. »Tut mir Leid, dass wir Sie gestört haben«, sagte Cindy und spürte im selben Moment, wie ein abgekauter Gummiball gegen ihr Bein prallte. Sofort wuselte ein weißer Pudel um ihre Füße, schnappte sich den Ball und rannte, dicht gefolgt von Elvis, zurück in die Mitte des Parks, wo eine Gruppe von Hundebesitzern zusammenstand.
»Eine richtige kleine Clique«, bemerkte Neil, als Elvis im Kreis um die anderen Hunde herumraste.
»Elvis!«, begrüßte eine Frau den Hund freundlich. »Wie geht’s dir, Junge?«
»Das mit dem Ball tut mir Leid«, entschuldigte sich ein Mann mittleren Alters, als Cindy sich der Gruppe näherte. »Ich hatte nicht gedacht, dass ich so weit
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