Bevor der Abend kommt
verschwinden, ohne irgendwem etwas zu sagen?« War Trish schon immer so begriffsstutzig gewesen, fragte Cindy sich unwillkürlich.
»Und Tom hat auch nichts von ihr gehört?«, fragte Meg.
»Tom hat auch nichts von ihr gehört«, wiederholte Cindy, schob ihre Hände in den Schoß, während ein gezwungenes Lächeln auf ihren Lippen erstarrte. Sie stellte sich vor, wie ihr ganzer Körper schmolz, vom Stuhl tropfte und eine große Pfütze auf dem Boden bildete, wie die böse Hexe des Westens, nachdem Dorothy ihr Wasser auf den Kopf geschüttet hat.
Megs Frage war wie dieser Schluck Wasser, dachte Cindy. Oberflächlich scheinbar harmlos, aber imstande, großen Schaden anzurichten, wie Säure, die schmerzhaft durch Cindys Ohren sickerte und die Worte in zartes Gewebe brannte.
Und Tom hat auch nichts von ihr gehört?
Cindy kam sich eigenartig substanzlos vor, ein Gefühl, das
sie während ihrer Ehe und unmittelbar nach ihrer Scheidung oft erlebt hatte, als ob sie ohne Tom an ihrer Seite weniger gewichtig war, als ob seine Anwesenheit notwendig wäre, der ihren Bedeutung zu verleihen, als ob ihre Ansichten, Sorgen und Bemerkungen ohne seine Zustimmung unzulänglich wären.
Und Tom hat auch nichts von ihr gehört?
Cindy wusste, dass Meg entsetzt wäre, wenn sie ahnen würde, dass sie ihre Worte so interpretierte, also gab sie sich Mühe, die Frage im Kontext und in der angemessenen Perspektive zu sehen. Trotzdem hingen ihr die Worte weiter im Ohr, kleine Dornen, die ihr ohnehin wundes Fleisch weiter aufrissen. Sie lächelte ihre älteste und engste Freundin an und begriff, dass Meg trotz ihres unübersehbaren Mitgefühls für ihre Not nicht die leiseste Ahnung von dem Sturm hatte, der in ihr wütete.
Wie wenig wir doch darüber wissen, was in den Köpfen anderer Menschen wirklich vor sich geht, dachte Cindy und ließ ihren Blick zwischen den beiden Frauen hin und her wandern, während ihr Lächeln langsam erstarb. Wie wenig wir doch übereinander wissen.
»Alles in Ordnung?«, fragte Meg und strich ein paar dünne Haare aus Cindys Stirn.
Cindy starrte achselzuckend in den Garten.
»Erzähl uns von Michael Kinsolving«, sagte Trish. »Ist er so sexy, wie die Leute sagen?«
Cindy erkannte Trishs Frage als das Ablenkungsmanöver, das es war. Es kam ihr merkwürdig vor, unter den gegebenen Umständen über Michael Kinsolvings Sex-Appeal zu reden. Wenn sie fickbar sind, sind sie an der Kinokasse erfolgreich , hörte sie ihn sagen. »Er hat ein ganz vernarbtes Gesicht«, antwortete sie schließlich und beschloss, das Spiel mitzuspielen. »Außerdem ist er klein.«
»Wie klein?«
»Tom-Cruise-klein.«
»Warum sind alle Männer in Hollywood so klein?«, fragte Trish.
»Und er konnte sich nicht an Julia erinnern?«, fragte Meg ungläubig.
Bei der Erwähnung ihrer Tochter schlug Cindys Herz schneller. »Anfangs nicht. Doch nachdem wir uns die Kassette angesehen haben …«
»Welche Kassette?«
»Julias Probeaufnahme. Ihr solltet sie sehen. Sie ist unglaublich.«
»Das überrascht mich nicht«, sagte Meg.
»Sie ist so talentiert«, pflichtete Trish ihr bei, obwohl beide Frauen Julia nie hatten spielen sehen.
Cindy erinnerte sich an den Gesichtsausdruck des Regisseurs nach der Vorführung. »Ich glaube, er war beeindruckt. Ich glaube, er hatte vergessen, wie gut sie war.« Talent? Talent ist das Mindeste. Wollen Sie sie ficken?
»Na, das ist doch super«, sagte Meg begeistert. »Das bedeutet, dass er sich an sie erinnern wird. Wenn sie nach Hause kommt«, fügte sie hinzu, bevor sich ihre Stimme verlor und in der Luft verwehte wie Zigarettenqualm.
Wenn sie nach Hause kommt, wiederholte Cindy stumm und klammerte sich an die Worte wie an eine Boje in stürmischer See. Wenn sie nach Hause kommt, kaufe ich ihr die Miss-Sixty-Jeans, die sie haben will. Ich fahre ein langes Wochenende mit ihr nach New York. Nur wir beide.
»Es geht ihr gut, Cindy«, sagte Trish. »Sie taucht wieder auf. Gesund und wohlbehalten. Du wirst sehen.«
»Wie kann das sein?«, wollte Cindy wissen und merkte selbst, dass sie laut wurde. »Wie kann irgendjemand für fast eine Woche verschwinden und dann einfach gesund und wohlbehalten wieder auftauchen? Wie soll das möglich sein? Julia ist kein kleines Kind mehr. Sie hat sich nicht verirrt. Und sie ist
auch nicht von zu Hause weggelaufen, weil sie sich mit ihrer Mutter gestritten hat.«
Oder doch?
»Sie ist keine alberne Romantikerin, wie ich es war. Sie ist bestimmt nicht mit irgendeinem
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