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Bevor der Morgen graut

Bevor der Morgen graut

Titel: Bevor der Morgen graut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Arnar Ingolfsson
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gelebt. Leifur und ich waren ständig im Fitness-Studio, und da haben wir Hjördís kennen gelernt. Die hat dort auch immer trainiert, wenn sie nicht in der Schule war, und wir haben uns angefreundet. Diese Kids im Gymnasium waren nichts für sie. Sie wollte action, Krafttraining und so was. Bergsteigen. Und außerdem haben wir Tontaubenschießen trainiert. Hjördís schießt supergut, aber sie ist nie mit uns auf die Jagd gegangen. Dagegen hatte sie was, weil sie es nicht ertragen konnte, tote Tiere zu sehen. Wir sind dreimal zusammen nach Spanien gefahren, da ging schwer was ab. Tagsüber Wasserski und Jetski, vor dem Abendessen an die Geräte, nachts in die Disko und ab ging die Post.«
    »Da war aber nichts zwischen euch?«, fragte Birkir.
    Jóhann grinste. »Wir haben da komischerweise nicht so viel drüber nachgedacht, aber ich fand ganz zum Schluss raus, dass Hjördís einfach zu uns Jungs gehörte, wenn du verstehst, was ich meine.«
    »Ist sie lesbisch?«
    »Ja, sie steht auf Mädchen, aber das wussten wir damals nicht. Leifur und ich haben zuerst ein bisschen versucht, uns an sie ranzumachen, denn sie war natürlich ziemlich heiß. Sie meinte aber, dass sie uns beide sehr gern hätte und sich für keinen entscheiden wollte. So war es die ganzen vier Jahre, solange wir alle drei zusammen waren. Leifur und ich hatten zwischendurch immer mal wieder eine Freundin, während Hjördís nie mit einem Jungen zusammen war, aber wir haben überhaupt nicht darüber nachgedacht. Und wir hätten uns wohl auch nicht mehr mit ihr abgegeben, wenn sie andere Typen gehabt hätte. Ich glaube, sie wollte deswegen so gern mit uns zusammen ausgehen, weil wir immer sofort zur Stelle waren, wenn irgendwelche Jungs sie anzumachen versuchten. Wenn jemand ihr zu nahe kam und sie ihn loswerden wollte, gab sie uns ein Zeichen, und wir standen neben ihr. Du hättest den Gesichtsausdruck von diesen Typen sehen sollen, wenn wir zu zweit auftauchten und den Arm um sie legten. Die waren total abgeturnt und machten sofort die Biege. Ich hatte gehofft, wir würden weiterhin befreundet bleiben, nachdem Leifur verschwunden war. Vielleicht auch, dass jetzt mehr daraus werden könnte. Aber dann kreuzte sie auf einmal mit einer Freundin auf, und ich kapierte endlich, was Sache war. Hätte man natürlich schon längst kapieren sollen.«
    »Weißt du, wo sie wohnt?«
    »In diesem Sommer hat sie in einem Mehrfamilienhaus am Kleppsvegur gewohnt, aber die Hausnummer weiß ich nicht mehr.«
    »Weißt du, wo sie arbeitet?«
    »Sie arbeitet zu Hause. An irgendwelchen Projekten, glaube ich, die sie fertig haben muss, bevor sie wieder nach New York geht, um weiter zu studieren.«
    »Hattet ihr keine anderen Freunde?«
    »Freunde? Vielleicht nicht gerade Freunde, aber wir kannten jede Menge Leute.«
    »Kannst du eine Liste mit den Namen dieser Leute zusammenstellen? Auch Verwandte, Nachbarn, Arbeitskollegen und andere, mit denen ihr irgendwie in Verbindung gestanden habt.«
    Jóhann stöhnte. »Ich kann versuchen, ein paar Namen aufzuschreiben. Reicht es nicht, wenn du das morgen bekommst? Meine Pause ist zu Ende.«
    »Ja, morgen reicht mir.« Birkir stand auf, aber Jóhann blieb sitzen.
    »Hör zu«, sagte er, »ich möchte, dass du eines weißt.«
    Birkir blieb stehen, aber es verging geraume Zeit, bevor Jóhann weiterredete. »Leifur war der beste Freund, den man sich denken kann. Ich bin seit seinem Verschwinden richtig neben der Spur. Das Leben macht nicht mehr so viel Spaß, wenn du verstehst, was ich meine. Manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich seine Telefonnummer wählen will, um ihm etwas zu sagen, was mir durch den Kopf geht. Sein Tod hat eine große Leere in mir hinterlassen.«
    »Das tut mir Leid«, sagte Birkir. Er glaubte zu sehen, dass Jóhanns Augen feucht wurden.

23:15
    N ach der abendlichen Besprechung verspürte Gunnar hauptsächlich Durst, verleibte sich aber zunächst noch an einem Kiosk am Hlemmur zwei Hotdogs ein und schlenderte dann zu seiner Kneipe am Smiðjustígur. Unterwegs rief er zu Hause an.
    »Mutter, ich komm heut Abend spät nach Hause«, sagte er und brach dann das Gespräch ab.
    Es war ein trostloser Tag gewesen. Stress und Anspannung wegen eines absurden Frage- und Antwortspiels, das ein durchgeknallter Mörder für sie inszenierte. Das war nichts für ihn. Gunnar bereute es, nicht darauf bestanden zu haben, mit Birkir nach Akureyri zu fahren. Da hatte sich doch zumindest eine neue Spur ergeben, der man nachgehen

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