Bevor der Morgen graut
landen, egal, was sie anstellten.«
Hjördís schüttelte den Kopf, und ein schwaches Lächeln huschte über ihr Gesicht. Dann fuhr sie fort: »Ja, und wie sie sich an mich rangemacht haben. Vieles von dem, was sie sich einfallen ließen, könnte man wirklich sexuelle Belästigung nennen, aber das ist eine andere Geschichte.« Sie unterbrach sich wieder, um einen Schluck Wasser aus der Flasche zu trinken. »Und dann lernte ich in Akureyri ein Mädchen kennen und freundete mich mit ihr an. Sie war supersportlich, Handball, Fußball, Schwimmen, um nur einiges zu nennen. Ein tolles Mädchen, ein Jahr älter als ich und fast genauso groß wie ich. Mir wurde ziemlich bald klar, dass ich in sie verliebt war, das war ein wahnsinniger Schock für mich. Ich habe sofort jeglichen Umgang mit ihr abgebrochen und mich vollständig isoliert. Meine Eltern machten sich monatelang große Sorgen um mich, aber dann habe ich mich wieder gefangen. Mädchen bin ich aber danach so gut ich konnte aus dem Weg gegangen, denn es war mir sehr unangenehm, auch nur ansatzweise solche unwillkommenen Gefühle zu verspüren. Und obwohl ich ein gutes Verhältnis zu meinen Eltern hatte, wäre es mir nicht im Traum eingefallen, mit ihnen darüber zu sprechen, oder mit jemand anderem. Und dann lernte ich die so genannten Zwillinge kennen, Leifur und Jóhann, seinen besten Freund. Ich hatte seinerzeit an der Schule in Boston Geräteturnen trainiert. Diese Schule hat wirklich alle Möglichkeiten geboten, und ich war auch ziemlich gut. Meine Größe war aber dabei immer etwas hinderlich, denn es ist in diesem Sport nicht von Vorteil, groß gewachsen zu sein. Deswegen gehörte ich nicht zur allererstenRiege. Stattdessen wollten sie mich wegen meiner Größe unbedingt im Basketball einsetzen, aber ich habe nie richtig auf den Korb zielen gelernt.«
Hjördís lächelte bei diesen Erinnerungen an frühere Zeiten. »Als ich nach Akureyri kam, habe ich mir das Geräteturnen aus dem Kopf geschlagen und mich aufs Krafttraining verlegt, das konnte ich im Fitness-Center ganz allein machen und war dabei auf niemanden angewiesen. Ich kannte ja schon eine ganze Reihe von diesen Übungen und habe mich in der Richtung weiter vorgetastet und mir ein Workout-Programm zusammengestellt. Dabei vergaß ich einfach alles um mich herum, wenn es mir dreckig ging. Durch die körperliche Anstrengung konnte ich mich entspannen und fühlte mich so wohl wie sonst selten. Leifur und Jóhann waren auch immer im Fitness-Studio, und wir kamen ins Gespräch. Sie waren natürlich genauso verrückt wie die anderen Jungs in Akureyri, aber sie waren immer zusammen, und auf diese Weise konnte ich mit ihnen klarkommen. Keiner von ihnen hätte zugelassen, dass der andere mich belästigte oder mich geringschätzig behandelte. Wir fingen an, gemeinsam zu trainieren und gemeinsam was zu unternehmen. Ich brauchte mir also keine Gedanken wegen anderer männlicher Wesen zu machen, Leifur und Jóhann hielten sie von mir fern.«
Wieder nahm Hjördís einen Schluck aus der Wasserflasche. Sie warf Birkir einen forschenden Blick zu, bevor sie weitererzählte: »Ich gehe davon aus, dass du hetero bist. Du kannst aber versuchen, dich in meine Lage zu versetzen, indem du dir vorstellst, dass du nirgendwohin gehen kannst, ohne dass mehr oder weniger sämtliche Männer dich aufreißen wollen. Für mich ist das genauso unerträglich, wie es für dich wäre. Ich habe ganz einfach einen Ekel davor, mit Männern in sexuellen Kontakt zu kommen. Ich habe keinerlei heterosexuelle Erfahrungen und kann mir einfach nicht vorstellen, in einer solchenSituation zu landen. Leifur und Jóhann sorgten dafür, dass ich keine Angst vor so etwas zu haben brauchte. Ich konnte mich mit netten Jungs amüsieren, aber sobald sie zu aufdringlich wurden, gab ich den beiden ein Zeichen, und schon waren sie zur Stelle. Danach wurde ich auch meist in Ruhe gelassen.«
Hjördís schwieg eine Weile, während sie überlegte, wie sie ihre Ausführungen fortsetzen sollte. Schließlich sagte sie: »Meine beiden Freunde wirkten auch ziemlich attraktiv auf andere Frauen, und so habe ich nach und nach gelernt, hübschen Mädchen zu begegnen, ohne verlegen zu werden oder zu erröten. Es wäre mir aber nie eingefallen, in dieser Richtung die Initiative zu ergreifen. Dazu kam es erst im letzten Herbst, als ich nach New York zog, um Design zu studieren. Dort habe ich eine Frau kennen gelernt, die ich liebe und mit der ich zusammen sein kann.«
»Wo
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