Bevor der Morgen graut
Freundschaft zwischen uns und Hjördís in die Brüche ging?«, fragte Jóhann.
»Ja«, sagte Birkir leise.
»Okay. Im Sommer vor Leifurs Verschwinden sind wir im August nach Spanien gefahren. Das war unsere dritte gemeinsame Reise in drei Jahren. Und alles war wie immer. Zwei Wochen, wir drei zusammen in einem Appartement, wir haben die ganze Zeit einen drauf gemacht. In der zweiten Woche haben wir an einem Abend etwas mehr getrunken als sonst, und auf einmal landeten wir alle drei in dem großen Ehebett des Appartements. Zuerst war es bloß ein Jux, aber dann sind Leifur und ich irgendwie ausgerastet und zu weit gegangen, wir haben Hjördís die Klamotten ausgezogen, obwohl sie sagte, wir sollten damit aufhören. Eins führte zum andern, und es endete damit, dass wir … dass wir sie eigentlich … richtig vergewaltigt haben. Das kam irgendwie ganz von selbst, und bevor wir das noch so richtig mitgekriegt hatten, war es ganz einfach passiert. Wir waren zu betrunken und zu überdreht, um zu kapieren, was da eigentlich ablief. Es war schon ein paar Mal vorher vorgekommen, dass Leifur und ich mit einem Mädchen einen flotten Dreier hatten, und die fanden das, zumindest zu Anfang, nicht so besonders toll. Erst am nächsten Morgen kapierten wir, was wir Hjördís angetan hatten. Sie hatte ihre Sachen noch in der Nacht gepackt und war abgehauen und mit der nächstbesten Maschine nach Island geflogen. Wirhaben sie erst in Akureyri wiedergesehen, aber da hat sie uns keines Blickes mehr gewürdigt. Das hat das ganze letzte Jahr wie ein Albtraum auf mir gelegen. Ich komme nicht darüber hinweg, dass ich an so etwas beteiligt war. Es war schrecklich genug, seinen besten Freund zu verlieren, und dazu noch dieses Schuldgefühl.«
Obwohl Jóhann so aussah, als hätte er Zahnschmerzen, versuchte er trotzdem, schwach zu lächeln.
Birkir wusste nicht, was er erwidern sollte. Jóhann hatte ein abstoßendes Verbrechen gestanden, und er sah keinerlei Grund, ihm Absolution zu erteilen. Am liebsten hätte er das getan, was eigentlich seine Pflicht war, nämlich eine Anklage in die Wege zu leiten. Jóhann wusste aber nur zu gut, dass er alles abstreiten konnte. Birkirs Aussage könnte möglicherweise eine Anzeige von Hjördís stützen, falls sie sich denn dazu durchringen konnte, eine zu erstatten. Ohne gesicherte Spuren und ein medizinisches Gutachten nach der Tat stünde sie auf sehr schwachen Beinen, und außerdem war das Verbrechen in einem anderen Land verübt worden. Doch das war nicht das, was Birkir jetzt am meisten zu schaffen machte.
»Liest Hjördís ebenfalls Ed McBain?«
Die Frage schien Jóhann zu überraschen. »Doch, das hat sie zumindest früher getan. Sie brachte seine Bücher schon damals aus Amerika mit, und später hat sie sie mir geschenkt, als sie sie durch hatte.«
Birkir konzentrierte sich sehr darauf, die nächste Frage zu formulieren: »Würdest du es für möglich halten, dass Hjördís versucht hat, sich wegen dem, was du und Leifur ihr angetan habt, zu rächen?«
»Was …?«
»Indem sie auf euch geschossen hat.«
»Glaubst du wirklich, dass sie …?«
»Wäre es denkbar?«
»Ich weiß es nicht. Um Gottes willen, das weiß ich nicht.«
Jóhann hatte angefangen zu weinen.
18:30
I m Kommissariat war das Ermittlungsteam vollzählig versammelt.
Gunnar saß vor dem Computer und wartete bis zur letzten Minute, bevor er die Anwort Ten plus one eingab. Er war zwischendurch zur Stadtbibliothek gerast, um die Antwort zu überprüfen. Was Birkir durchgegeben hatte, stimmte. Emil und seine Helfershelfer hatten zwar die Ed-McBain-Bücher durchforstet, aber Jóhann hatte die Antwort als Erster parat gehabt. Gunnar war ihm dankbar.
»Der Ganter hat in seiner Frage den englischen Titel des Schauspiels genannt. Vielleicht weiß er nicht, dass das Buch ins Isländische übersetzt worden ist«, gab Birkir zu bedenken.
»Was sagt uns das?«, fragte Gunnar.
»Ich weiß es nicht«, war Birkirs Antwort.
Kurz darauf erschien die Rückmeldung auf dem Bildschirm: »Sechste Frage: Was für ein Abschnitt steht unmittelbar vor diesem? ›Auf dem Weg in die Stadt hielt ich bei einer Bar und genehmigte mir ein paar doppelte Scotchs. Das brachte gar nichts, außer dass ich wieder an Silberperücke denken musste, und ich habe sie nie wiedergesehen.‹ Sechs Stunden.«
Gunnar kopierte Das brachte gar nichts, außer dass ich wieder an Silberperücke denken musste und gab den Satz in die Google-Suchmaschine ein, was
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