Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bevor der Morgen graut

Bevor der Morgen graut

Titel: Bevor der Morgen graut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Arnar Ingolfsson
Vom Netzwerk:
sehen.
    Magnús kochte Kaffee und brachte seiner Frau eine Tasse. Obwohl sie mit Telefon und Laptop beschäftigt war, schenkte sie ihm ein Lächeln. CNN lief stumm im Hintergrund.
    Damit waren Magnús’ Haushaltspflichten an diesem Abend beendet, und mit der Kaffeetasse in der Hand begab er sich in sein Arbeitszimmer. Dieser Raum war das Heiligtum des passionierten Sportanglers. Die Wände waren von oben bis unten bedeckt mit ausgestopften Fischen und Fotos von bekannten und beliebten Angelflüssen und Anglern. Außerdem hingen dort Glaskästen, hinter denen bunte Fliegen ordentlich aufgereiht waren, und unter jeder Fliege stand ein kleines Schild mit ihrer Bezeichnung. Die Regale waren voll mit Büchern über Angelsport oder mit Erfahrungsberichten von bekannten isländischen Anglern. Über dem Arbeitstisch befand sich ein Regal mit unzähligen transparenten Schublädchen mit den Materialien, die man zum Knüpfen von Kunstfliegen verwendete, Federn, Tierhaare und dergleichen.
    Magnús setzte sich an den Arbeitstisch, schaltete das Radio ein, Sender eins, und knüpfte an der Forellenfliege weiter, mit der er am Abend vorher begonnen hatte. Das Objekt war mit einer winzigen Klemme unter einem Vergrößerungsglas mit Arbeitsleuchte befestigt. Winzige grüne und blaue Federchen waren die Hauptbestandteile des Köders. Dies war Magnús’ liebste Beschäftigung, Fliegen zu basteln und im Sommer Forellenzu angeln. Die Arbeit bei der Kriminalpolizei diente eigentlich nur dazu, die Zeit dazwischen zu überbrücken. Auf das Gehalt war er nicht wirklich angewiesen, aber es ermöglichte ihm, großzügig Angellizenzen zu kaufen und sich alle zwei Jahre einen neuen Jeep anzuschaffen. Falls dann noch etwas übrig blieb, investierte er in Aktien. Der Haushalt wurde von Vilhelmínas Einkünften bestritten.
    Die Arbeit bei der Kriminalpolizei hatte sich eigentlich wie ein Zeitvertreib gestalten lassen, da Magnús ein gutes Händchen für die Auswahl von Mitarbeitern hatte, mit denen die Abteilung sozusagen von selbst funktionierte. Seine Arbeit bestand vor allem in der administrativen Aufsicht des Ganzen. Aber jetzt war alles aus den Fugen geraten, vier ungelöste Mordfälle und wahrscheinlich ein Serienkiller am Werk. Vielleicht war es an der Zeit, in Pension zu gehen.
    Magnús dachte darüber nach, was der Mörder ihnen geschrieben hatte.
     
    … Du fragst, warum. Macht es einen Unterschied, das zu wissen? Was geschehen ist, ist geschehen und kann nicht wieder rückgängig gemacht werden. Was ist das für ein Trieb, der den Jäger hinaustreibt in eine kalte Herbstnacht, um sich ein paar Gänse zu holen, die er dann nicht einmal essen mag … Oder der Trieb, der manche dazu bringt, Fische zu angeln, um sie anschließend wieder freizulassen, in der Hoffnung, dass sie am Leben bleiben und sich vermehren – und ein zweites Mal gefangen werden können. Mein Instinkt befiehlt mir zu töten. Ich jage Menschen, und sie entkommen mir nicht.
     
    War das nicht auch auf ihn zu beziehen? Er fing Forellen und manchmal Lachs, und oft ließ er die Fische wieder frei, wenn er sie geangelt hatte. Eigentlich sogar in den meisten Fällen, denn es war ihm zu viel Mühe, die Tiere auszunehmen und für dieGefriertruhe zu präparieren. Süßwasserfisch schmeckte ihm eigentlich nicht, höchstens geräuchert. Sein Instinkt befahl ihm aber nicht zu töten, es war nur manchmal unvermeidlich, wenn der Fisch den Haken so unglücklich geschluckt hatte, dass man ihn nicht entfernen konnte, ohne ihn zu verletzen. Magnús’ Jagdinstinkte beschränkten sich darauf, den Fisch anzulocken und an Land zu bringen, nachdem er angebissen hatte.
    Als das Telefon neben ihm klingelte, schaltete sich sofort der Anrufbeantworter ein. Eine mechanisch klingende Stimme nannte die Nummer des Anschlusses und empfahl, eine Nachricht zu hinterlassen. Jemand begann zu sprechen, und Magnús erkannte die Stimme des Justizministers. Widerstrebend drückte er auf die Antwort-Taste.
    »Magnús hier«, sagte er laut genug für das eingebaute Mikrofon.
    »Seid ihr weitergekommen?«, ertönte die Stimme aus dem Lautsprecher.
    »Nein, eigentlich kaum, aber wir gehen einer Reihe von Hinweisen und Indizien nach.«
    Magnús knüpfte unter dem Redefluss des Ministers weiter an seiner Fliege. Der gab Magnús einige gute Ratschläge, die Magnús aus Krimiserien im Fernsehen zu stammen schienen, und erklärte schließlich, das Ministerium sei gewillt, sie in jeglicher Hinsicht zu unterstützen.

Weitere Kostenlose Bücher