Bevor der Morgen graut
Karte an. »Nein, selbstverständlich nicht. Das ist gar nicht meine Schrift.«
»Du gibst nicht zu, seine Schrift nachgemacht zu haben?«
»Auf gar keinen Fall. Weshalb sollte ich das getan haben?«
Urður brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen und sagte: »Worauf wollt ihr damit eigentlich hinaus? Das hat doch gar keine Verbindung zu diesen Todesfällen. Es sind lauter Gerüchte, die gar nichts mit den Morden zu tun haben. Vielleicht kommt ihr jetzt gefälligst mal zum Punkt, falls ihr etwas gegen diese junge Frau in der Hand habt. Sonst werden wir sofort den Raum verlassen.«
Elías steckte den Kopf zur Tür herein. Er sagte nichts, sondern schüttelte nur den Kopf. Hjördís’ Fingerabdrücke hatten nicht mit denjenigen auf der Plastikhülle um Leifurs Leiche übereingestimmt.
»Liest du Kriminalromane?«, fragte Gunnar.
»Nein, nein, auf so etwas antwortest du gar nicht«, wies Urður ihre Mandantin an. »Jetzt reicht es aber wirklich. Hjördís und ich werden jetzt gehen.«
Gunnar und Birkir schwiegen. Als Birkir schließlich etwas sagen wollte, öffnete sich die Tür wieder. Diesmal war es Símon, der so aussah, als hätte er gerade einen Orgasmus gehabt. Er legte einen durchsichtigen Plastikbeutel auf den Tisch, in dem zwei Stoffschnipsel zu sehen waren.
»Das haben wir im Müll gefunden«, sagte er außer Atem.
»In was für einem Müll?«, fragte Urður. »Und was ist das überhaupt?«
»In einer der Mülltonnen in Hjördís’ Haus«, sagte Símon und schaute sich wichtigtuerisch um.
»In den Mülltonnen eines Hauses, in dem viele Parteien wohnen. Was hat das mit dieser Frau zu tun?«
Gunnar fragte Hjördís: »Hast du das schon einmal gesehen?«
Hjördís nahm den Plastikbeutel und besah sich die Schnipsel. Dann lehnte sie sich zu Urður hinüber, und sie unterhielten sich eine Weile leise. Schließlich nickte Urður zustimmend, und Hjördís erklärte: »Als ich heute Morgen von meinem Spaziergang zurückkam, habe ich meinen Briefkasten geleert. Da lag aber nur Reklame und ein unbeschriebener weißer Umschlag mit diesem Zeugs drin. Ich ging davon aus, dass sich irgendwelche Kinder einen Spaß mit mir erlaubt hätten, und deswegen habe ich es auf dem Weg nach oben zusammen mit der Reklame gleich in den Müllschlucker im Treppenhaus gesteckt. Was sind das eigentlich für Schnipsel?«
»Die Stoffstückchen haben höchstwahrscheinlich etwas mit zwei der Morde zu tun.«
Urður nahm die Zeitung zur Hand und hielt sie ihnen vor. »Ihr habt so unmissverständlich ausposaunt, wo diese junge Frau wohnt, dass der Mörder jede Gelegenheit hatte, diese sogenannten Beweisstücke bei ihr in den Briefkasten zu stecken. Habt ihr sonst noch etwas auf Lager?«
Gunnar und Birkir sahen sich an. Birkir zuckte mit den Achseln.
»Dann gehen wir jetzt«, erklärte Urður, stand auf und bedeutete Hjördís, mitzukommen. »Ich werde die junge Dame nach Hause bringen. Und von mir bekommt ihr eine Rechnung zugeschickt.«
Die drei Kriminalbeamten sahen den Frauen nach, die jetzt den Raum verließen.
»Darf sie einfach so wieder gehen?«, fragte Símon, der jetzt aussah, als hätte ihm jemand in die Eier gekniffen.
»Ja«, sagte Birkir, »das Ganze ist total verfahren.«
14:35
A nna nahm die Stoffstücke an sich und ging damit ins Labor.
Gunnar und Birkir blieben zurück und überlegten unschlüssig, was jetzt zu tun war, als Gunnars Telefon klingelte. Es war Emil Edilon.
»Es gibt einen Lösungsvorschlag für diese Jake-Martin-Frage. Sie stammt vom behinderten Filmkritiker. Willst du sie hören?«
»Ja, unbedingt.« Gunnar griff zu einem Stift.
»1973 wurde ein Film in den USA produziert, der auf einem Kriminalroman des schwedischen Ehepaars Maj Sjöwall und Per Wahlöö basierte. Der Roman hieß Der lachende Polizist und gehört zu einer Serie von zehn Büchern mit dem Kriminalkommissar Martin Beck. Kannst du folgen?«
»Ja, ich hab von diesen Büchern gehört. Mach weiter.«
»In dem Roman geht es um einen Massenmord in einem Bus.«
»Also wieder ein Massenmord.«
»Ja.«
»Okay.«
»Also, in Amerika hieß der Film The Laughing Policeman und spielte in San Francisco und nicht in Stockholm. Walther Matthau hat diesen Martin Beck gespielt, aber im Filmmanuskript wurde dessen Name in Jake Martin geändert, verstehst du?«
»Du meinst, die Antwort auf die Frage ›Wie heißt Jake Martin‹ ist Martin Beck?«
»Ja.«
»Wir müssen es drauf ankommen lassen, eine andere Möglichkeit haben wir
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