Bevor der Morgen graut
ihre Mandantin auf den Tisch.
»Zuerst reden wir darüber.«
Hjördís streckte die Hand nach der Zeitung aus und las die Überschrift.
»Um Himmels willen«, rief Hjördís, »das ist ja der reinste Albtraum!«
»Ich weiß nicht, mit was für Spielchen sich die Polizei da beschäftigt«, sagte Urður, »und hoffentlich habt ihr gute und gesicherteGründe dafür, dass ihr angeblich unbedingt Hjördís vernehmen müsst. Lasst hören.«
Gunnar ergriff das Wort und sagte zu Hjördís gewandt: »Im Rahmen unserer Ermittlung von vier Mordfällen ist dein Name drei Mal aufgetaucht. Du hast außerdem zugegeben, dass es zwischen dir und deinem Hausnachbarn Friðrik zu Reibereien gekommen ist.«
Hjördís fiel Gunnar ins Wort: »Jetzt hör aber mal zu, Freundchen. Es gab keine Reibereien, sondern ich bin von ihm belästigt worden, was ich aber nach besten Kräften zu ignorieren versucht habe.«
»Nun ja, kann schon sein«, sagte Gunnar, »aber danach hat ein Zeuge ausgesagt, dass du ein weiteres Opfer, nämlich Vilhjálmur Arason gekannt hast, was im Widerspruch zu dem steht, was du meinem Kollegen gegenüber ausgesagt hast.« Gunnar deutete mit dem Kopf auf Birkir.
»Du meinst diesen Alten?«
»Ja.«
Hjördís sah Birkir an. »Den habe ich einzig und allein auf dem Foto gesehen, das du mir gezeigt hast. Was soll denn dieser Quatsch?«
Urður fragte: »Hat dieser Zeuge Hjördís bei einer Gegenüberstellung erkannt?«
Gunnar schüttelte den Kopf. »Nein, aber auf einem Foto.«
»Das beweist absolut gar nichts«, sagte die Rechtsanwältin.
Gunnar fuhr fort: »Du kennst Kolbrún Guðjónsdóttir?«
»Ja.«
»Was für eine Verbindung habt ihr zueinander?«
»Sie hat auf mich aufgepasst, als ich klein war.«
»Und zum gegenwärtigen Zeitpunkt?«
»Ich kaufe manchmal Fischfertiggerichte bei ihr.«
»Und manchmal leihst du dir ihr Motorrad aus, nicht wahr?«
Hjördís lehnte sich zu Urður hinüber und wechselte eine paar Worte mit ihr, so leise, dass die anderen es nicht hören konnten. Urður nickte zustimmend, und Hjördís sagte: »Ja, ich habe mir ihr Motorrad ausgeliehen.«
»Weshalb hast du meinem Kollegen gestern nichts davon gesagt, als das Gespräch auf Kolbrún kam?«
»Mein Führerschein fürs Motorrad stammt aus Amerika. Ich weiß nicht, ob der hier gültig ist. Ich hatte Angst, dass ich damit in Schwierigkeiten geraten könnte.«
Gunnar warf Birkir einen Blick zu, richtete aber seine Worte weiterhin an Hjördís. »Wir haben Hinweise darauf bekommen, dass es zwischen dir, Leifur und Jóhann zu einem Zwischenfall gekommen ist.«
Hjördís schien aus allen Wolken zu fallen. »Das stimmt doch überhaupt nicht. Wir waren gute Freunde.«
»Da ist aber vor rund einem Jahr etwas in Spanien passiert.«
Hjördís schüttelte den Kopf. »Nein, da ist gar nichts passiert.«
»Du hast das Hotel mitten in der Nacht verlassen und bist vor den beiden nach Island zurückgeflogen.«
»Ja, ich bin vor ihnen zurückgeflogen, aber das war von vornherein so gebucht. Ich musste mich um meine Bewerbungen fürs Studium kümmern. Und ich bin auch nicht mitten in der Nacht gefahren, meine Maschine ging abends.«
Gunnar sah Birkir an, der mit einem Schulterzucken zu verstehen gab, dass er keine Meinung dazu hatte, wie die Vernehmung weiterzuführen sei. Also wandte Gunnar sich wieder an Hjördís und sagte: »Wir haben eine Zeugenaussage, dass Jóhann und Leifur dich in der letzten Nacht, die ihr zusammen wart, vergewaltigt haben.«
»Mich vergewaltigt haben?« Hjördís sprang auf. »Das ist nicht wahr. Wer erzählt eigentlich so einen Schwachsinn?«
Sie blickte die Kriminalbeamten fragend an, aber als sie keineAntwort erhielt, setzte sie sich wieder. »Ist Jóhann festgenommen worden?«, fragte sie.
»Nein, noch nicht. Er wird auch nicht festgenommen, es sei denn, du erstattest Anzeige.«
»Ich werde keine Anzeige erstatten, weil es gar keine Vergewaltigung gegeben hat. Das ist eine Lüge. Wer hat euch das eigentlich erzählt?«
»Hat dann der Geschlechtsverkehr mit deinem Einverständnis stattgefunden?«
»Nein, natürlich nicht. Wir haben nie zusammen geschlafen. Ich schlief immer im Wohnzimmer und die beiden im Schlafzimmer, wenn sie nicht bei irgendwelchen Mädchen waren.«
Gunnar blickte Birkir verwirrt an, wendete sich dann aber wieder Hjördís zu und schob ihr die Fotokopie einer Postkarte zu.
»Hast du diese Postkarte im Namen von Leifur geschrieben?«, fragte er.
Hjördís sah sich erstaunt die
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