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Bevor der Morgen graut

Bevor der Morgen graut

Titel: Bevor der Morgen graut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Arnar Ingolfsson
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sagte: »Der fette Bulle wieder
     zur Stelle. Was willst du eigentlich von mir, verdammt nochmal?« Sie
     trug Jeans und eine schwere schwarze Lederjacke und dazu hohe
     Lederstiefel. Gunnar griff nach ihrem Arm. »Du hast mir gesagt, du
     würdest abends in der Stadtbibliothek putzen. Bist du damit heute Abend
     schon fertig?«»Ja, ich komme von dort«, antwortete
     sie und schüttelte Gunnars Hand mit einer resoluten Handbewegung
     ab. »Ich muss ein Buch ausleihen.« »Na, so was.« »Kannst du mich da
     reinlassen?« »Jetzt?« »Ja.« »Bist du bescheuert?« »Es steht sehr
     viel auf dem Spiel. Hast du die Schlüssel dabei?« »Ja, aber ich denke
     nicht daran, dich reinzulassen, ich würde glatt gefeuert. Außerdem
     habe ich nicht das geringste Interesse daran, mir deinetwegen jetzt noch
     Stress zu machen. Ich hab den ganzen Tag geschuftet, seit heute Morgen
     um acht.« »Ich tu dir im Gegenzug auch einen Gefallen.« »Was für
     ein Gefallen könnte das schon sein?« »Vielleicht etwas im
     Zusammenhang mit dem Hof deines Vaters. Ich kann mit dem
     Nachlassverwalter reden und ihn dazu bringen, dir das Land zu
     verkaufen.« »Glaubst du, dass du das schaffst?« »Ich kann es
     versuchen. Manchmal kann ich sehr überzeugend sein.« Kolbrún
     überlegte. »Nur ein Buch?«, fragte sie nach einer Weile. »Ja.«
     »Hast du ein Auto?« »Nein, wir können zu Fuß gehen, es ist ja nicht
     weit.« »Wir nehmen mein Motorrad. Es steht draußen vor der Tür.«
     Gunnar verließ hinter ihr die Kneipe. Ein großes, altes Motorrad, eine
     Harley Davidson, stand an der Straße. Ein weißer Helm war auf dem Sitz
     befestigt. »Ich habe keinen zweiten Helm«, sagte sie, während sie denHelm aufsetzte. »Aber du hast ja ohnehin einen
     Quadratschädel«, fügte sie hinzu. Sie schwang sich auf das Motorrad
     und warf es an. Das laute Motorengeräusch klang
     vertrauenerweckend. Gunnar setzte sich hinter Kolbrún und legte die
     Hände an ihre Hüften. Das Motorrad sackte unter seinem Gewicht ein
     gutes Stück weiter auf die Straße hinunter. Sie fuhr zügig an, und
     Gunnar musste sich festklammern. Das Motorrad hatte einen starken Motor,
     und die Fahrt zur Bibliothek dauerte nur etwas mehr als eine Minute. Sie
     stoppte die Maschine auf dem Bürgersteig vor dem Haupteingang, und sie
     stiegen ab. Kolbrún öffnete die Tür mit einem Schlüssel. Nachdem sie
     die Alarmanlage mit einem Zahlencode entsichert hatte, öffnete sich die
     innere Tür. Die schwache Notbeleuchtung in den Bibliotheksräumen
     reichte aus, um sich zu orientieren. Sie gingen in den ersten Stock, wo
     sich die Belletristik in isländischer Sprache befand, Chandler stand
     zwischen Cervantes und Theresa Charles.Der große Schlaf war einer
     von zwei Titeln des Autors, die im Regal standen. Gunnar schnappte sich
     das Buch, ging dorthin, wo das beste Licht war, und schlug die letzte
     Seite auf. Dort stand der Satz: Auf dem Weg in die Stadt hielt ich
     bei einer Bar.
    Er rief Dóra an und begann, ihr den vorletzten Abschnitt vorzulesen: »Was für eine Rolle spielte es, wo man lag, wenn man sowieso tot war? In einem dreckigen Sumpf oder in einem Marmorturm oben auf einem hohen Berg? Du warst tot, du schliefst den großen Schlaf …« Der Absatz war lang, fünfzehn Zeilen insgesamt, und er brauchte eine ganze Weile, bis er durch war. »Was soll dieses ganze Theater eigentlich?«, fragte Kolbrún, als Gunnar fertig war und das Gespräch beendet hatte. »Ich erklär’s dir später«, versprach Gunnar und stellte das Buch an seinen Platz zurück.»Kann ich mit dir zurückfahren?«, fragte er, als sie wieder draußen vor der Stadtbibliothek standen. »Nein, ich fahr jetzt nach Hause«, antwortete sie. »Du denkst daran, was du versprochen hast.« Gunnar nickte. »Noch eins«, sagte er, »kennst du eine Hjördís …« Er zögerte, weil er vergessen hatte, wie ihr Vater hieß. »Sie ist die Tochter eines Arztes, der in Boston war.« Kolbrún schien unschlüssig zu sein, ob sie auf diese Frage antworten sollte. Endlich sagte sie: »Ja, ich kenne eine Frau, die Hjördís heißt. Ich hab auf sie aufgepasst, als sie klein war. Ich war als Au-pair bei ihren Eltern.« »Habt ihr noch Kontakt?« Kolbrún nickte zögernd und sagte: »Wir quatschen manchmal ein bisschen im Fischgeschäft. Und sie hat ein paar Mal mein Motorrad ausgeliehen, und was sie mir dafür bezahlt, geht in die Reparaturkasse. Wieso fragst du nach ihr?« »Ich erklär’s dir später«,

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