Bevor der Tod euch scheidet (German Edition)
Immerhin war es ja eine Lüge gewesen, als sie dieses eigenartige Geständnis abgelegt hatte, von dem Porträt zu wissen, ohne dabei ein Wort darüber zu verlieren, ob ihr bekannt war, dass es sich um ein Aktgemälde handelte. Hatte sie nicht davon geredet, Francesca verdiene es nicht, dass man ihr wehtat? Warum sollte sie so etwas sagen – es sei denn, sie wusste, das Bild zeigte sie nackt?
Farr war im letzten Frühling Roses Geliebter gewesen, und Liebende vertrauten sich Geheimnisse an. Ihm war bekannt, dass es sich um ein kompromittierendes Bild handelte. Sarah selbst hatte es ihm gesagt. Und Rose war eine große, starke Frau. Sie war ganz sicher dazu fähig, ganz ohne fremde Hilfe ein Gemälde von der Wand zu zerren und wegzuschaffen …
Francescas Herz machte einen Satz. „Bragg!“, rief sie.
ZWANZIG
Donnerstag, 3. Juli 1902
Mittags
Rose schloss die Tür zu dem wunderschönen alten Herrenhaus auf, das Hart letzten Winter für Daisy gekauft hatte. Nervös betrat sie das großzügige, mit Parkett ausgelegte Foyer, und als sie die Tür hinter sich zudrückte, wurde ihr die unheimliche Stille bewusst, die im Haus herrschte.
Eine Träne lief ihr über die Wange. Ihr Blick wanderte zur Treppe. Sie spürte Daisys Präsenz so deutlich, dass sie fast damit rechnete, sie jeden Moment die Stufen herunterkommen zu sehen. Aber das würde Daisy niemals wieder machen, denn sie war ja tot. Auch wenn Hart sie nicht ermordet hatte, so hatte er doch ihre Liebe getötet. Und dafür hasste sie ihn!
Sie bewegte sich auf die elegante Treppe zu und sah nach den weißen Lilien auf dem Tisch im Foyer, als ihr auf einmal klar wurde, dass dieser Tisch leer war. Daisy hatte dort immer eine Vase mit Lilien hingestellt, ihren Lieblingsblumen, die ihren Lieblingsduft verströmten.
Während sie die Stufen hinaufging, nahm sie den Verlust wie eine zentnerschwere Last wahr, die auf ihr Herz drückte. Sie blickte über die Schulter und rechnete fast damit, dass Brendan Farr zur Tür hereinkam. Er war ein perverses Schwein, und er traf sich mit Vorliebe immer noch hier mit ihr, um in Daisys Schlafzimmer zu vögeln.
Sie machte es jedes Mal mit. Was blieb ihr schon anderes übrig? Sie war eine Hure, er ein Cop. Wenn er es wollte, konnte er sie hinter Gitter bringen und dort verrotten lassen. Er hatte es mit ihr getrieben, als er ihr genau diese Drohung zugeflüstert hatte …
Ihr kam die Galle hoch. Sie konnte nicht verstehen, wieso sie weiter eine sexuelle Beziehung mit ihm unterhielt. Sie hasste Chief Farr noch mehr als Hart, und das sagte eigentlich alles darüber aus, wie sehr der Mann sie anekelte. Eines Tages fand sie vielleicht eine Möglichkeit, um den Spieß umzudrehen. Aber wahrscheinlich würde sie das dann nicht überleben … Er war ein beängstigender, gefährlicher Mann, und er hatte sich ganz besonders auf Francesca eingeschossen. Womit die sich seinen unbändigen Hass zugezogen hatte, war Rose ein Rätsel.
Wieder schaute sie nach unten. Der Flur war leer, die Haustür geschlossen. Ihr Herz raste, doch sie hielt sich vor Augen, dass Farr heute zu tun hatte und erst später am Abend herkommen würde.
Um sich von ihren beunruhigenden Gedanken abzulenken, konzentrierte sie sich ganz auf Daisy und stellte sich vor, wie sie sich in den Armen lagen und vergnügt lachten. Wie sie gemeinsam einen Schaufensterbummel unternahmen, wie sie auf Coney Island eine Karussellfahrt machten – die Karussellfahrt, über die sie so oft geredet hatten, zu der sie aber nie gekommen waren. An der Schlafzimmertür angekommen, setzte sie ein tapferes Lächeln auf und versuchte, nicht zu weinen. Sie wusste, sie würde nie über Daisy Tod hinwegkommen. Dafür hatte sie sie zu sehr geliebt.
Rose betrat das wunderschöne, in Goldtönen gehaltene Zimmer. Neulich war sie im Begriff gewesen, Francesca die Wahrheit anzuvertrauen. Francesca war ein guter Mensch und hatte ihr und Daisy mehr als einmal geholfen. Doch sie hatte es nicht fertiggebracht – auch wenn es ihr noch so sehr zuwider war, Francesca zu belügen.
Langsam schloss sie die Schlafzimmertür hinter sich und drehte sich zu Francescas Porträt um, das an die Wand gelehnt stand.
Bragg öffnete die Haustür. „Es ist nicht abgeschlossen.“
Sie waren im Begriff, das prachtvolle Herrenhaus zu betreten, das Hart für Daisy gekauft hatte. Obwohl ihre Affäre nur von kurzer Dauer gewesen war – Hart hatte sich recht plötzlich mit Francesca verlobt –, war es Daisy gestattet gewesen,
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