Bevor du stirbst: Roman (German Edition)
verfolgt, hast du sie ins Wasser gestoßen und ihre Finger mit deinen Stiefeln zertreten? Und warum willst du Schweden jetzt verlassen, Ulrik? Läufst du vor etwas davon?
Der Wagen schlingert, als ich die Brücke am Norra Kungsväg verlasse, aber ich kann die Kontrolle zurückgewinnen, schalte, werde langsamer und fahre weiter zur Nordinsel.
Ich habe versucht, Agneta Arvidsson zu erklären, dass Micke sich besser nicht mit Ulrik Lundin treffen sollte, dass mit ihm etwas nicht stimme, aber sie murmelte nur, dass Micke sein eigener ärgster Feind sei. Ich solle selbst mit ihm darüber reden, und wenn ich sonst nichts mehr auf dem Herzen hätte … sie sei ein wenig in Eile.
In mir wächst die Angst. Nicht davor, dass Ulrik Micke etwas tun könnte, sondern weil der letzte Mensch, der vielleicht berichten kann, was passiert ist, dann verschwinden würde. Dass die Wahrheit, von der ich weiß, dass sie sich in Reichweite befindet, mir vielleicht aus den Händen gleitet, unten in dem schwarzen Wasser verschwindet.
Der Viererbund vom Norra Real: Micke, Stefan, Anders und Ulrik. Jetzt sind nur noch zwei übrig. Verwöhnte, arrogante Drecksbengel, sagt Gabriella Swan. Aber Mörder?
Und was war Stefans Rolle? Jetzt, da ich weiß, dass er und Anders sich im Herbst 2005 gar nicht getroffen haben, frage ich mich, ob ich mir vielleicht alles eingebildet habe, ob ich einen Zusammenhang sehe, der gar nicht existiert.
Ich halte vor Mickes weißem Haus. Aus der Ferne sieht es idyllisch aus, wie es so im Dunklen zwischen entlaubten Bäumen und Büschen ruht und mit den riesigen Thujen auf beiden Seiten des Tores wie überdimensionale Wachtposten. Erst beim Näherkommen sieht man, dass die braune Farbe von den Fensterläden abgeblättert und dass der Garten wild überwuchert ist.
In der Hand halte ich die Tüten aus dem Alkoholgeschäft. Ich gehe davon aus, dass Micke mich wohl eher hineinlassen wird, wenn ich mit Wein locke. Nach einer Weile stelle ich fest, dass die Klingel offenbar nicht mehr funktioniert, und klopfe vorsichtig an die Tür.
Nichts passiert.
Ich schaue mich um. In den anderen Häusern der Straße brennt Licht. Die Fenster blicken mich gleichgültig und gelb an. Große Autos stehen in den Auffahrten, Skier lehnen an den Fassaden. Die ganze Gegend erzählt von wohlhabender Mittelklasse. Es ist still, abgesehen von einem Flugzeug über uns und einem Hund, der in der Ferne bellt. Schwere kalte Tropfen fallen vom Dach auf meinen Kopf. Ich packe die lila Tüte mit energischem Griff und klopfe lauter.
Die Tür wird geöffnet.
Die grauen Haare fallen ihm auf die Schultern, ein langärmliges verschlissenes T-Shirt, das viel zu kurz ist, schiebt sich an Mickes Seiten hoch.
»Du?«, fragt er und sieht sichtlich gestresst aus.
»Wir müssen reden.«
Er schüttelt den Kopf so heftig, dass die grauen Strähnen tanzen.
»Tut mir leid, keine Zeit. Muss an meiner Abhandlung arbeiten.«
Dann zieht er die Tür zu. Doch ich bin schneller, trotz des Weines. Ich schiebe den Stiefel in die Türöffnung.
»Wir müssen reden, Micke. Und danach trinken wir.« Ich hebe die Weintüte hoch. Er mustert sie skeptisch.
»Es gibt nichts zu bereden«, murmelt er, klingt aber nicht mehr ganz so überzeugt.
Ich presse das Gesicht gegen den Türspalt, begegne seinem müden Blick, rieche Staub und alte Schuhe, die sich auf dem Dielenboden drängen.
»Bitte, Micke. Ich möchte nur ein bisschen über Stefan sprechen. Mehr darüber erfahren, wie er war, bevor ich ihn kennengelernt habe. Das ist wichtig für mich.«
Sein Griff um die Türklinke wird schwächer, und er verdreht die Augen, wirkt aber noch immer nicht überzeugt.
»Er fehlt mir so«, füge ich leise hinzu. Micke gibt auf, sinkt in sich zusammen und zuckt mit den Schultern, tritt in der dunklen schmutzigen Diele einen Schritt zurück.
»Ich verstehe ja nicht, wie ich dir helfen soll«, seufzt er, »aber von mir aus, dann komm erst mal rein.«
»Danke, vielen Dank.«
Ich schlüpfe durch die Tür, ehe er sich die Sache anders überlegen kann, und streife den Mantel ab.
»Wir gehen zu mir nach unten, ich wohne im Keller«, sagt er, trottet zur Treppe und geht langsam nach unten, ohne sich umzusehen. Ich folge ihm schweigend, klammere mich ans Geländer, um in der Dunkelheit nicht zu stolpern.
Dann wird eine Lampe eingeschaltet, und das Zimmer ist in Licht gebadet. Die weißen Wände sind teilweise bedeckt mit Postern von Popstars, die mir vage bekannt vorkommen, und mit
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