Bevor du stirbst: Roman (German Edition)
eine Flasche Wodka geteilt hatten, die Stefan aus dem Barschrank seiner Eltern gestohlen hatte? Als sie so betrunken gewesen waren, dass Anders nicht mehr gerade gehen konnte, und als sie alle in der Rörstrandsgata auf ein funkelnagelneues Cabriolet gepisst hatten?
Er hatte keine Antwort. Er wusste, dass er irgendwann einen anderen Weg hätte wählen, eine andere Richtung hätte einschlagen müssen. Aber das spielte keine Rolle mehr. Was geschehen war, war unwiderruflich, und es führte kein Weg zurück. Er dachte an Anders, an jenen Morgen vor langer Zeit, das Versprechen, dass sie ihr Leben zurückbekommen würden. Er hatte sich geirrt. Natürlich hatte er sich geirrt. Sie hatten nur eine Galgenfrist bekommen.
Und Siri. Stefan dachte an Siri. An ihre dunklen Augen mit den dichten Wimpern. Diesen Blick, der ihn voll durch schaute. Er dachte an den Tag, an dem sie sich über den Schwangerschaftstest gebeugt und das schwache Plus betrachtet hatten, das langsam auf dem weißen Plastikstäbchen hervortrat. An die weiche Rundung unter ihrem weißen Kleid am Hochzeitstag. Und dann an die Ultraschallbilder. An das Kind, das niemals zu einem Kind geworden war. Schon damals hatte er begriffen, dass das die Strafe war. Dass die Frist bald auslaufen würde.
Und dann Aina. Wie hatte er Siri das antun können? Es war, als hätte seine Selbstverachtung keine Grenzen ge kannt, als müsste er sich selbst beweisen, dass er ein schlechter Mensch war. Natürlich hatte es nie so werden sollen. Oft wurde es ja auch nicht so. Es bedeutete nichts und bedeutete doch alles.
Und jetzt war alles zu spät. Anders war tot. Stefan war nicht sicher, wer es gewesen war. Ulrik oder Arvidsson oder beide zusammen. Anders hatte die Wahrheit sagen wollen, hatte versucht, die anderen auf seine Seite zu bringen. Ulrik war abweisend, kalt und wütend gewesen. Micke war in Panik geraten. Er selbst hätte Anders gern eine gescheuert, wegen seines verlogenen Egoismus und den plötzlichen Gewissensqualen. Anders, der sie von Anfang an zu allem überredet hatte.
Und dann der Mord. Der Schuss am Karlaplan, der alles verändert hatte.
Er wusste, dass es keine Alternativen mehr gab. Er konnte nicht mit dem leben, der er war. Der er gewesen war, der er geworden war. Er konnte nicht jeden Morgen aufwachen und im Spiegel diesem Fremden begegnen. Er konnte Siris trauriges, fragendes Gesicht nicht mehr ertragen. Ihre unbeholfenen Versuche, ihm zu helfen. Er hatte das Recht auf ein weiteres Leben verwirkt. Er hatte versucht, es gutzumachen, und war gewaltig gescheitert.
Alles zu gestehen wäre keine Alternative. Einmal vor langer Zeit hatten sie einen Pakt geschlossen. Einander versprochen, es niemals zu sagen. Das war noch immer wichtig. Er wollte kein anderes Leben zerstören, wollte nur verschwinden.
Die Bilder jenes Junimorgens verfolgten ihn noch immer. Nicklas Swan suchte ihn im Schlaf heim. Rief ihn. Bat ihn, ihm Gesellschaft zu leisten. Bat ihn, wieder ganz werden zu dürfen. Ihre Bootsfahrt nach Trälhavet lag siebzehn Jahre zurück, und nun war er hier. Nur wenige Dutzend Kilometer weiter. Im selben kalten Grab. Das war auf eine seltsame Weise ein Trost. Er war nicht allein.
Stefan nahm das Mundstück, riss den Schlauch vom Atemregler. Er löste die Maske und spürte das kalte Wasser an den Wangen. Zog es durch Nase und Hals ein. Spürte die Panik in Wellen kommen, als der Körper nicht den Sauerstoff erhielt, den er brauchte. Glühende Punkte vor den Augen, dann etwas anderes.
Ein Strom aus Wärme und Weichheit.
Stille.
Er sah Siri vor sich, sah sie, wie sie an ihrem ersten Abend ausgesehen hatte. In einem kurzen weißen Kleid, mitten in einem Rapsfeld bei einem Dorf in Schonen.
Sie winkte ihm zu.
Er lächelte und winkte zurück. Dann drehte sie sich um, der Wind erfasste für einen Moment ihr Kleid, es flatterte ein wenig, als sie durch die hohen verschlungenen Pflanzen von ihm wegging.
Danksagung
Wir möchten unserer phantastischen Verlegerin Helene und unserer ebenso phantastischen Lektorin Katarina von Wahlström & Widstrand für ihre behutsame und stilsichere Hilfe bei der Arbeit an diesem Buch danken. Wir danken auch Anna und Joakim von unserer Agentur und ihren Kollegen von der Nordin Agency, die immer wieder für Siri die Welt öffnen.
Dann, geliebte Freunde und Familienmitglieder, danke dafür, dass ihr uns so viel Zeit und Kraft in dieses Paralleluniversum stecken lasst, in dem Siri lebt. Ohne eure Liebe und eure Geduld gäbe es
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