Bevor du stirbst: Roman (German Edition)
ein Schweineglück hast, dass du weißt, womit du den Rest deines Lebens verbringen willst?«
Er schaute zu Anders hoch, erwiderte einen Blick, der in dem trüben Lokal dumpfgrau war.
»Warum glauben alle, dass meine Zukunft schon fix ist? Ich weiß ja noch nicht mal, ob ich einen Studienplatz kriege.«
»Hör auf, red hier keinen Scheiß. Du mit deinen Noten, klar wirst du sofort genommen.«
Er zuckte mit den Schultern.
»Was weiß ich, verdammt. Was, wenn irgendein Lehrer mich in die Pfanne haut. Nur aus purer Bosheit, meine ich.«
Anders schien darüber nachzudenken, nippte an seinem Kaffee und schaute hinaus auf die Odengata, wo der Frühlingswind Papierfetzen, Plastiktüten, altes Laub und Staub aufwirbelte. Ein roter Bus fuhr auf dem Weg zum Valhallaväg vorüber.
»Das würde mich überhaupt nicht überraschen«, sagte Anders dann. »Unsere Lehrer sind doch solche Versager. Was ja eigentlich nur logisch ist. Wer wird denn überhaupt Lehrer? Hast du dir das schon mal überlegt? Jedenfalls nicht die Allerhellsten.«
Er grinste.
»Der Waldschrat«, murmelte Stefan.
»Genau. Der ist doch ein Scheißmongo. Glaubst du, der hätte außerhalb des Klassenzimmers irgendeine Autorität? Im Klassenzimmer der König zu sein ist seine … raison d’ ê tre. Ich kann dir sagen, der Kerl hat nie auch nur einmal gefickt. Er sitzt zu Hause und wichst zu irgendwelchen Heimatsendungen , wenn du mich fragst.«
Anders machte mit der Hand in der Luft Wichsbewegungen, und Stefan merkte, wie das Lachen ihn übermannte, unkontrollierbar und befreiend.
»Verdammt, Anders. Manchmal bist du einfach nur verdammt … widerlich. Verstehst du?«
Anders lachte laut.
»Ich werde jedenfalls weiterbüffeln. Und irgendwann so viel verdienen, dass ich nie mehr von solchen wie dem Waldschrat abhängig sein werde. Verstehst du? Ich will nie mehr mit solchen Idioten zu tun haben, solchen zurückgebliebenen Hirnis wie unseren Lehrern.«
Sein Blick war jetzt ernst. Das Lächeln verschwunden. Er zog nachdenklich an einem der blonden Haare an seinem Kinn, und die Haut bewegte sich.
»Ehrlich gesagt«, fing Stefan an, »solltest du dir vielleicht die Schamhaare vom Kinn abrasieren.«
Anders krümmte sich vor Lachen, und eine kleine Kaffeefontäne spritzte aus seinem Mund und auf die verschmutzte Tischdecke. »Scheiße, was ist das hier für ein Dreck! Wo sind denn die alten Omas, die hier putzen?«, murmelte er und hob abermals die Hand ans Kinn. »Die Mädels finden den Bart toll.«
»Klar doch.«
»Wirklich, stimmt. Die mögen gern … reinbeißen und daran lutschen.«
»Du bist doch total krank. Hab ich dir das schon mal gesagt?«
»Du wiederholst dich, ja.«
»Du willst also reich, stark und unabhängig werden?«, fragte Stefan und schob dabei mit dem Zeigefinger Krümel zu einem kleinen Hügel zusammen. »Ein echter Übermensch?«
»Nimm dich in Acht.« Anders hob einen warnenden Finger. »Keiner wird so falsch verstanden wie Nietzsche. Von Strindberg, den Christen, den Nazis. So ein Übermensch würde sich wohl kaum als SS-Offizier verkleiden und einen auf Hooligan machen. So ein Übermensch wäre …«
» … allen anderen überlegen?«
»Genau. Jemand, der die Sklaverei des Christentums durchschaut hat, der das menschliche Bedürfnis entlarvt hat, Gottesgestalten zu erfinden, um dem Dasein einen Sinn zu geben, und die Regeln und Falsch und Richtig zu definieren, um den Pöbel unter Kontrolle zu halten.«
Stefan seufzte. Sie führten diese Diskussion nicht zum ersten Mal, und er hatte eigentlich keine Lust auf eine Wiederholung. Aber dann sah er eine Gruppe Mädchen aus der Schule einen Tisch hinter ihnen. Stumm, andächtig lauschend.
Er beschloss, dass das hier nicht der richtige Moment sei, um die Diskussion zu beenden
Jetzt nicht. Er sah Anders an, dass auch der die Mädchen bemerkt hatte.
»Aber du willst doch nicht allen Ernstes behaupten, dass es nichts gibt, das richtig oder falsch ist?«, fragte er.
Anders lächelte, ließ sich zurücksinken, und der schmale Stuhl ließ ein bedrohliches Knacken hören.
»Genau das will ich behaupten. Gut und Böse sind nur Konstrukte. Wer sich über diese Konstrukte erheben kann, hat auch das Recht, sich über das zu erheben, was wir das … äh … Rechtssystem nennen.«
»Na gut.« Stefan zögerte, spielte an dem kleinen Krümelhaufen herum, den er auf der Tischdecke zusammengetragen hatte. »Wenn wir jetzt ein Beispiel aus der Wirklichkeit nehmen. Der Mord an Catrine da
Weitere Kostenlose Bücher