Bevor du stirbst: Roman (German Edition)
verschwiegen?
»Siri, hallo!« Aina fuchtelt genervt vor meinen Augen herum. »Wir möchten das auch wissen, also lass uns rein, bitte!«
Ich zögere eine Sekunde, weiß nicht, ob es eine gute Idee ist, mit Vijay und Aina über Anders Holmberg zu sprechen.
»Erinnert ihr euch an einen Mord vor fünf Jahren? Einen Mann, der auf dem Heimweg von der Arbeit erschossen wurde? In den Medien war die Rede vom Karlaplanmord.«
Ich musterte ihre Gesichter. Aina runzelt die Stirn, sieht unsicher aus, schüttelt den Kopf. Vijay wirkt konzentriert, als suche er in seiner Erinnerung.
»Ich kann mich ziemlich gut erinnern. Ich hatte damit zwar nichts zu tun, aber ein Kollege im Karolinska-Krankenhaus hat der Polizei geholfen. Ganz normaler Typ, der da umgebracht worden war. Nichts in seinem Leben konnte den Mord erklären. Angeblich hat der Mörder den Falschen er wischt. Aber das glaube ich nicht. Es gibt eine Zeugin, die gesehen hat, wie sie miteinander sprachen. Und wenn man jemanden umbringen will, dann erkennt man diese Person ja wohl, wenn man so nahe herangeht, dass man miteinander reden kann. Wenn du mich nach meiner Meinung fragst.«
Vijay legt die Fingerspitzen aneinander. Im Bruchteil einer Sekunde hat er die Rolle gewechselt, vom Privatmann zum Profi.
»Wer ist diese Zeugin?« Ich bin neugierig. Irgendwo muss es doch Auskünfte darüber geben, wer diese Zeugin ist und was sie eigentlich gehört hat.
»Ja, das war ja wirklich tragisch. Die Zeugin war eine zugedröhnte Jugendliche, die von einem Date mit ihrem Dealer nach Hause ging. Sie hatte Gott weiß was eingeworfen. Amphetamin, LSD … Sie hat gesagt, dass sie dort im Park Halluzinationen hatte, dass sie zuerst glaubte, dass ein Monster sie mit einem Samuraischwert jagte. Jedenfalls hat sie mit größter Sicherheit den Mord beobachtet, aber ihre Aussage ist aus begreiflichen Gründen ohne Wert. Sie wusste nicht, ob der Mörder sie nicht gesehen hat oder ob er begriffen hat, dass sie total weggetreten war, und ob er sie deshalb in Ruhe gelassen hat. Auf alle Fälle hatte sie Glück. Er hätte sie ja auch umlegen können. Und ob nun dieser Mann oder jemand anders ermordet werden sollte, die Tat wurde kaltblütig durchgeführt und ging schnell.«
»Herrgott, eine Jugendliche, ganz allein? Und unter Drogen?«
Vijay lächelt mitleidig.
»Jetzt bist du naiv, Siri.«
»Naiv? Nur weil ich die Vorstellung einer zugedröhnten Jugendlichen widerlich finde?«
»Warte mal. Warum willst du das alles wissen?« Aina blickt mich fragend an. Beugt sich über den Tisch nach vorne. In ihrem Blick ahne ich Unruhe.
»Weil Anders Holmberg und Stefan Jugendfreunde waren und weil Stefan seine Todesanzeige aufbewahrt hat, aber er hat mir nie etwas über Anders’ Tod erzählt. Warum verschweigt man so etwas? Auf dem Gymnasium waren sie offenbar enge Freunde. Maj hat gesagt …«
»Maj hat gesagt?« Plötzlich lodern Ainas Wangen, vielleicht vom Bier und der Hitze, vielleicht vor Irritation.
»Wann hast du mit Maj gesprochen? Du hast sie seit … wie lange … fast sechs Jahren nicht mehr gesehen, hast ihre Weihnachtskarten nicht beantwortet. Und dann hörst du von dieser Sache und meldest dich bei ihr? Siri, was zum Teufel ist los?«
»Und? Dir kann es doch egal sein, ob ich mit Maj zu tun habe?« Meine Stimme klingt fremd, schrill und genervt.
»Weil du immer wieder auf Stefan zurückkommst. Weil du, obwohl du einen wunderbaren Mann und ein kleines Kind hast, Stefan noch immer nicht loslassen kannst. Er ist tot, und das musst du akzeptieren und weitergehen. Ab und zu gibt es keine Antwort, sosehr man sich auch danach sehnt. Stefan hat sich umgebracht, und niemand weiß warum, und du musst trotzdem weiterkommen. Was glaubst du übrigens, was passiert, wenn du herausfinden kannst, warum dieser Anders gestorben ist? Was wird so viel besser werden, wenn du es weißt? Das ist nur eine Illusion, etwas, das dich in der Trauer festhält. Außerdem idealisierst du ihn, machst aus ihm eine Art Heiligen. Weißt du, Stefan war nur ein normaler Mensch, mit Fehlern und Unzulänglichkeiten wie alle anderen auch.«
Aina stellt ihr Bierglas mit dumpfem Knall ab, springt auf und läuft zu den Toiletten.
Ich suchte Vijays Blick, und er schüttelt unmerklich den Kopf. Auch er begreift nicht, warum Aina so wütend ist.
»Ich weiß nicht, Siri, aber vielleicht hat Aina recht. Vielleicht solltest du die Sache wirklich loslassen. Ich kann ja verstehen, dass du das wissen willst, aber es hilft
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