Bevor du stirbst: Roman (German Edition)
stochert eher gleichgültig in den vielen Schüsseln auf dem Tisch herum. Ich trinke Cola light und nehme das letzte Nanbrot.
Wir sitzen im Shanti, einem der wenigen indischen Restaurants, gegen die Vijay keine Einwände hat. Wie immer ist es voll und laut. Ich bin satt und entspannt. Glücklich über diesen ganzen Abend zusammen mit Vijay und Aina. Keine Termine, die eingehalten werden müssen, kein Kind, das um halb sechs aufwacht und mit Autos spielen will. Markus hält zu Hause die Stellung, und ich werde bei Aina übernachten.
Mich überkommt ein Déjà-vu-Gefühl, Erinnerungen an eine lange zurückliegende Zeit, verlockend und nicht mehr greifbar. Eine Zeit, die niemals zurückkommen wird, vor Stefan, vor Markus. Späte Abende in rauchigen Kneipen. Katerfrühstück mit Aina im Helgalunden.
»Also wird Sven auf seine alten Tage noch Papa.« Vijay grinst und wischt sich rote Soße aus dem struppigen Schnurrbart.
»Neidisch?«
Aina streichelt Vijays Wange und lächelt dann unschuldig. Er nickt nachdenklich.
»Klar, ich bin verdammt neidisch. Das wisst ihr. Einen Mann kennenzulernen und Kinder zu bekommen, danach sehne ich mich ja, aber beides scheint verdammt schwer zu bewerkstelligen zu sein.«
»Was ist mit diesem Typen geworden, den du im Internet kennengelernt hast, diesem Bastian?« Ich bin unsicher, ob mir vielleicht eine wichtige Information entgangen ist. Vijay und Aina sind, was ihr Singledasein betrifft, absolut unterschiedlich. Aina will frei sein. Sie hat gern eine Beziehung, macht aber einen Rückzieher, wenn es zu ernst wird. Vijay hat erst jetzt die ersten Verabredungen, obwohl es zwei Jahre her ist, dass Olle ihn verlassen hat. Bastian ist der erste Mann, den Vijay nach Olle erwähnt hat.
»Ja, was ist eigentlich passiert? Ich weiß es nicht. Er war so komisch, als er mir gesagt hat, dass nichts aus uns wird. Es sei nicht mein Fehler, sondern seiner. Und ich bin ein wunderbarer Mann, mit einem tollen Charakter, ihr wisst ja … Als ob an meinem Äußeren etwas nicht stimmt! Verdammt, ich komme mir vor wie dreizehn und die Hauptperson in einem Scheißjugendbuch. Müssen die Leute so verdammt regressiv sein, wenn es um Beziehungen geht, sodass alles sich anhört wie aus einer Kummerkastenkolumne?«
Vijay lacht und fährt sich mit der Hand durch die graugesprenkelten Haare. Trotz seines ironischen Tonfalls sehe ich, dass er traurig ist.
»Und du?« Er schaut Aina an, die nur lacht und den Kopf schüttelt.
»Gerade im Moment keiner. Will erst mal allein sein. Aber im Frühling könnte ein feuriger Lover sich gut machen.«
»Und Kinder?« Vijay sieht Aina neugierig an.
»Kinder?«
»Ja, die biologische Uhr und der ganze Kram. Hast du nie Sehnsucht?« Vijay hebt sein Bierglas und trinkt einen langen Zug. Aina lacht laut mit offenem Mund.
»Wie nennen wir das noch …? Projektion vielleicht? Du willst Kinder, Süßer. Nicht ich. Ich begnüge mich mit einem Bier und der Hoffnung darauf, dass der Frühling bald kommt.«
»Ein Bekannter von mir, er und sein Partner haben sich in Indien eine Leihmutter gesucht. Eine Frau, die schon mehrere Kinder hat und die dadurch ihre Kinder auf gute Schulen schicken kann … aber ich weiß nicht. Mir kommt das nicht richtig vor. Was werden sie dem Kind sagen, wenn es größer ist? Deine Mama war eine arme Frau, und wir haben ihr Geld gegeben, um dich zu bekommen und damit deine Geschwister zur Schule gehen können? Ich finde das moralisch, gelinde gesagt, zweifelhaft. Nein … ich werde wohl erst mal kinderlos und Single bleiben. Es muss andere Möglichkeiten geben, um einen Sinn im Leben zu finden. Frühling und Bier und überhaupt. Prost!« Vijay hebt sein Bierglas, und wir stoßen an und trinken. Aina und Vijay vertiefen sich jetzt in eine Diskussion über die ethischen Probleme der Leihmutterschaft. Es fällt mir schwer, mich darauf zu konzentrieren, und meine Gedanken wenden sich dem ermordeten Anders Holmberg zu. Noch einmal gehe ich alles durch, was ich weiß. Die Tatsache, dass Stefan Anders Holmberg gekannt hat, dass er mir nichts über Anders’ Tod gesagt hat. Die Notizen über die Treffen in Stefans Kalender. Die aufbewahrte Todesanzeige. Eigentlich bedeutet das alles nichts, rein gar nichts.
Aber dennoch, auf irgendeine Weise weiß ich, dass das alles mit Stefans Tod zu tun hat. Es muss einen Zusammenhang geben, vielleicht einfach nur die Tatsache, dass der Tod seines Freundes ihn deprimiert hat.
Aber warum hat er mir das alles
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