Bevor du stirbst: Roman (German Edition)
versuche zugleich, den Wald auf beiden Seiten im Auge zu behalten. Das Fernlicht trifft auf verschneite Bäume, und ich rechne damit, dass zwischen den hohen Bäumen jederzeit ein Elch auftauchen kann.
Markus ist beschwipst. Er lässt sich auf seinem Sitz zurücksinken und nickt immer wieder ein, singt aber mit der Musik, die leise aus dem Radio kommt.
»Hattest du einen netten Abend?«
Für einen Moment löse ich meinen Blick von der trügerisch glatten Fahrbahn und sehe, dass Markus mich fragend anschaut. Ich überlege ein wenig. Einige Stunden lang standen wir in einer Bar, und einige Male bin ich mit Robin, einem alten Kumpel von Markus, zum Rauchen nach draußen gegangen.
Ich trinke nicht mehr. Nachdem mein erster Mann, Stefan, ums Leben gekommen war – wie alle zuerst dachten, durch einen Unfall beim Tauchen, doch aller Wahrscheinlichkeit nach war es Selbstmord –, habe ich viel zu viel getrunken. Ein Glas Rotwein wurde zur Flasche. Leere Weinkartons drängten sich unter meinem Spülbecken. Ich brauchte lange, um zu akzeptieren, dass ich mit Alkohol nicht umgehen konnte, dass mein Trinken eine Sucht war. Aber als ich dann Erik erwartete, war es plötzlich ganz einfach. Kein Alkohol. Es hat mir nicht einmal gefehlt.
Schwerer schon waren die Reaktionen meiner Umgebung. Fragende, fast beleidigte Kommentare, weil ich nicht am kollektiven, rituellen Trinken teilnehmen wollte. Wohlmeinende Fragen, ob ich etwas zu erzählen hätte? Neugierige Blicke auf meinen Bauch. Jetzt ist mir das egal. Natürlich fragen auch Markus’ Freunde, aber ich sage einfach, dass Alkohol und ich nicht zueinander passen. Abgesehen von den Fragen, die es immer bei einem Abend in der Bar gibt, war es wirklich nett. Markus’ Freunde sind nett.
Die Gesprächsthemen sind anders als die, die bei meinen Essen mit Aina oder Vijay, meinen engsten Freunden, meistens dominieren, aber auf irgendeine Weise ist das seltsam befreiend. Klatsch über alte Kumpels und das Neueste aus dem Ort wechselt mit der ersten Liga im Eishockey, der Arbeit bei der Gemeinde oder dem neuen Schneemobil. Man will mehr über Markus’ Arbeit als Polizist hören und fragt, ob wir herziehen werden. Den einen oder anderen Scherz über meinen Beruf muss ich ebenfalls hinnehmen: Kann ich Gedanken lesen, als Psychologin? Verwende ich alles, was andere sagen, gegen sie, und sind nicht alle Psychologen ein wenig verrückt? Ich antworte auf all diese Fragen mit ja, sage, dass ich die verrückteste von allen bin, und meistens reicht das für einen Themenwechsel.
Ab und zu merke ich, dass ich älter bin, dass ich nicht alle Sprüche und Anspielungen von Markus und seinen Freunden verstehe. Zehn Jahre Altersunterschied machen sich natürlich bemerkbar. Und es bleibt das Wissen, dass ich keine von ihnen bin. Dass ich eine hoffnungslose Stockholmerin bin. Aber trotzdem fühle ich mich in ihrer Gesellschaft wohl. Mir gefallen die fröhliche, anspruchslose Stimmung und die Tatsache, dass Markus sich gut unterhält, dass er ruhig und entspannt ist. Ich fühle mich gemocht und akzeptiert. Außerdem ist es schön, für eine Weile mit Markus zusammen zu sein und Babysitter zu haben. Ich liebe Erik über alles, aber ab und zu fehlt mir die Möglichkeit, mit meinem Lebensgefährten über etwas anders sprechen zu können als Kitatermine, Schnupfen und Topftraining.
»Doch, das war lustig. Robin ist super, und es war nett von ihm, mir Zigaretten zu spendieren.«
Ich will Markus aufziehen, es passt ihm nicht, dass ich rauche. Aber er lacht nur.
»Fahr da vorne nach rechts.« Er zeigt auf das Fenster, und ich sehe, dass der Wald sich lichtet und sich vor dem jetzt gefrorenen Meer eine verschneite Ebene öffnet. Wir werden den freigeräumten Eisweg fahren, der zwischen zwei Landzungen entlangführt und die restliche Wegstrecke um zwanzig Minuten verkürzt.
»Und du? Hat es dir gefallen?«
Er schweigt eine Weile, denkt über die Frage nach.
»Es ist immer lustig herzukommen. Und meine Eltern und meine Freunde zu treffen. Ich bin hier doch aufgewachsen. Aber jetzt bin ich in Stockholm zu Hause. Da habe ich dich und Erik. Und meine Arbeit. Da sind wir verwurzelt, und ich möchte wirklich nicht mehr herziehen.«
Plötzlich reißt er an der Handbremse, der Wagen gerät ins Schlingern, zieht eine scharfe Kurve, drehte sich auf der Eisbahn. Zuerst habe ich Angst, dann höre ich Markus lachen. Die Straße ist leer und fast dreißig Meter breit, es ist mehr Platz geräumt worden, als nötig
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