Bevor du stirbst: Roman (German Edition)
dunkelblauen Kugelschreiber.
»Praxisbesprechung. Wir reden heute über …« Marianne unterbricht sich und schaut auf den Tagesordnungsplan, der vor ihr liegt. Dann leiert sie die Punkte herunter. Anderer Putztag in der Praxis, Anschaffung eines Kopierers, Probleme mit einem undichten Waschbecken auf der Besuchertoilette, Ferienwochen im Sommer.
Sven räuspert sich leise und sagt, er habe einen zusätzlichen Punkt und wolle mit dem anfangen.
Marianne ändert ihren Plan nur ungern, widerspricht aber nicht. In ihrer Welt ist Sven ja der Chef der Praxis.
»Also, liebe Kolleginnen.« Sven klingt unsicher und spielt an dem dicken Ring aus Weißgold herum, den er am linken Ringfinger trägt. Er und Sara haben eine kurze standesamtliche Trauung ohne Gäste vornehmen lassen. Nur, weil es so viel einfacher ist, wenn man Kinder bekommt, hat Sven erklärt, ohne sein glückliches Lächeln verbergen zu können. Mir geht auf, dass er nervös ist. Dass er nicht weiß, wie er sagen soll, was jetzt kommt.
Mich durchläuft ein kalter Schauer. Wenn nur nichts mit dem Kind passiert ist, mit Sara. Aber Sven sieht nicht traurig aus. Im Gegenteil. Und heute Vormittag habe ich gehört, wie er zu einem Song von Lady Gaga im Radio gepfiffen hat.
Sven wirkt glücklich. Zufrieden.
»Ich weiß wirklich nicht, wie ich das sagen soll.« Sven schaut auf und erwidert meinen Blick. Er sieht verlegen aus. »Wir arbeiten doch schon so lange zusammen. Sehr lange. Schon zehn Jahre. Und ihr seid … wunderbare Kolleginnen. Wirklich, ich habe euch so gern.«
Er lächelt traurig, und seine Worte klingen ehrlich.
Keine von uns anderen sagt etwas. Wir sitzen schweigend da, abwartend. Warten darauf, was Sven zu sagen hat. Dass er uns zum Ende seines wohl vorbereiteten Monologs führt.
»Aber jedenfalls. Ich habe lange mit Sara darüber diskutiert, was wir machen sollen, wenn das Kind kommt. Ich bin ja kein junger Spund mehr. Das weißt du ja, Marianne, du hast ja ausgerechnet, dass ich eigentlich ein wenig zu alt für das Abenteuer bin, auf das ich mich mit meiner lieben Frau begeben habe.«
Marianne nickt bestätigend, sagt aber nichts.
»Und da habe ich mir überlegt, das mit der Zeit, das ist etwas, wovon mir nicht unbegrenzt viel bleibt. Ich bin fast sechzig. Ich möchte so viel wie möglich mit meinem Kind zusammen sein. Und zugleich möchte ich einen alten Traum verwirklichen. Ihr wisst ja, dass ich immer schon schreiben wollte, und ich glaube, jetzt ist es so weit. Ich kann sehr viel mit dem Kind zu Hause sein, und ich kann schreiben. Ich habe mir das wirklich genau überlegt, und ich spüre, es ist jetzt so weit. Zeit, um weiterzugehen. Deshalb habe ich beschlossen aufzuhören. Aus der Firma auszusteigen, ganz einfach. Und das wollte ich sagen.«
Sven lässt sich in seinem Sessel zurücksinken und verschränkt die Arme vor der Brust. Seine ganze Körpersprache signalisiert Unzugänglichkeit, und mir ist klar, dass wir nichts sagen oder tun können, um ihn von seinem Entschluss abzubringen. Sven hat sich entschieden.
»Aber Sven, verdammt.« Aina sitzt auf der Stuhlkante. Ihre Haut ist graubleich und unter den Augen aufgeschwemmt. »Was sollen wir denn jetzt machen? Hast du dir das über legt?«
»Es geht ja nicht um viel Geld, es ist also kein großes Problem. Wisst ihr noch, wie die Gemeinschaftspraxis auf Norrmalm auseinandergegangen ist? Meine Güte, was für ein Kuddelmuddel. Die reden noch immer nicht miteinander.« Sven schüttelt den Kopf.
»Aber die Miete und Mariannes Gehalt?« Aina klingt verzweifelt und müde. »Siri, was sagst du?«
Ich zögere, weiß nicht, wie ich meine Gedanken in Worte kleiden soll.
»Ich finde, das klingt klug. Ein guter Entschluss, Sven, auch wenn du mir wirklich fehlen wirst. Die Familie ist wichtig. Und wenn du das kannst, dann solltest du das absolut tun. Schreib dein Buch, kümmer dich um dein Kind. Sei mit Sara zusammen.«
Ich schaue Sven an, und er sieht dankbar aus.
»Ja, ich dachte, wo wir die Abmachung mit der Stadt ja nicht verlängert bekommen, lösen sich etliche Probleme von selbst. Ihr könnt meine Klienten übernehmen, und dann seid ihr ausgebucht.«
»Aber du kannst uns doch nicht einfach im Stich lassen.« Aina wird immer wütender. »Wir haben doch Kosten. Was sollen wir mit der Praxis machen, die ist doch viel zu groß, wenn wir nur zu zweit sind. Und die Gehälter …«
Aina verstummt und schaut verstohlen zu Marianne hinüber, die zum Glück offenbar nicht begreift, dass sie
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