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Bevor ich sterbe

Bevor ich sterbe

Titel: Bevor ich sterbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Downham
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den anderen. »Ich hab eigentlich gar keinen vollständigen Führerschein. Ohne den darf man keine Beifahrer mitnehmen.«
    Mir fallen eine Million Gründe ein, warum es vielleicht keine so gute Idee ist, hinten auf Adams Motorrad mitzufahren: Weil wir einen Unfall bauen könnten. Weil es vielleicht gar nicht so toll ist, wie ich es mir erhoffe. Weil ich nicht weiß, was ich Zoey
sagen soll. Weil es etwas ist, was ich wirklich mehr als alles andere tun will. Aber das Fehlen einer vollen Fahrerlaubnis lasse ich nicht als einen dieser Gründe gelten.
    »Hast du noch einen Helm?«, frage ich ihn.
    Wieder dieses langsame Lächeln. Wie ich dieses Lächeln liebe! Fand ich ihn eben noch hässlich? Nein, sein Gesicht ist verwandelt.
    »Im Schuppen. Eine Jacke hab ich auch noch übrig.«
    Unwillkürlich lächle ich auch. Ich fühle mich mutig und selbstsicher. »Dann komm. Bevor der Regen anfängt.«
    Er macht die Tür hinter sich zu. »Es wird nicht regnen.«
    Wir gehen um das Haus herum und holen die Sachen aus dem Schuppen. Aber gerade als er mir hilft, den Reißverschluss der Jacke zuzuziehen, und mir erklärt, dass sein Motorrad gut hundertvierzig Stundenkilometer schafft und der Wind kalt sein wird, geht die Hintertür auf, und eine Frau in Morgenmantel und Hausschuhen betritt den Garten.
    Adam sagt: »Geh wieder rein, Mum, du erkältest dich noch.«
    Doch sie schlurft über den Weg weiter auf uns zu. Sie hat das traurigste Gesicht, das ich je gesehen habe, als wäre sie einmal ertrunken, und die Gezeiten hätten ihre Spuren darauf hinterlassen.
    »Wo willst du hin?«, fragt sie und sieht mich überhaupt nicht an. »Es ist ein bisschen früh, wohinzufahren.«
    »Mit dem Motorrad raus. Ich bleib nicht lange.«
    Sie macht ein komisches kleines Geräusch hinten in der Kehle. Adam schaut jäh auf. »Nicht, Mum«, sagt er. »Geh und nimm dein Bad und zieh dich an. Eh du dich versiehst, bin ich wieder da.«
    Mit einem trostlosen Nicken macht sie sich auf den Rückweg, bleibt aber stehen, als fiele ihr plötzlich etwas ein, dreht sich um und sieht mich zum ersten Mal an, eine Fremde in ihrem Garten.

    »Wer sind Sie?«, fragt sie.
    »Ich wohne nebenan. Ich bin bei Adam vorbeigekommen.«
    Die Trauer in ihrem Blick vertieft sich. »Ja, das habe ich mir gedacht.«
    Adam geht zu ihr und fasst sie sanft am Ellbogen. »Na komm«, sagt er. »Du solltest wieder reingehen.«
    Sie lässt zu, dass er sie den Weg hinauf zur Hintertür führt. Auf der Schwelle dreht sie sich um und sieht mich noch einmal an. Weder sie noch ich sagen etwas. Wir sehen uns nur an, ehe sie durch die Tür in ihre Küche geht. Ich wüsste gern, was nun passiert, was sie sich wohl sagen.
    »Alles in Ordnung mit ihr?«, frage ich Adam, als er wieder in den Garten kommt.
    »Bloß weg hier«, sagt er.
     
    Es ist anders, als ich es mir vorgestellt habe, nicht so wie wenn man schnell bergab radelt oder auf der Autobahn seinen Kopf aus dem Wagenfenster steckt. Sondern elementarer, wie wenn man im Winter an einem Strand ist und der Wind vom Meer reinfegt. Die Helme haben Plastikvisiere. Meins habe ich runtergeklappt, aber Adams bleibt oben; das hat er absichtlich so gemacht.
    Er hat gesagt: »Ich will den Wind in meinen Augen spüren.«
    Er hat mir gesagt, dass ich mich in die Kurven legen muss. Und dass wir nicht Höchstgeschwindigkeit fahren werden, weil es meine erste Fahrt ist. Aber was heißt das schon? Auch bei halber Geschwindigkeit könnten wir abheben. Wir könnten fliegen.
    Wir lassen die Straßen und Laternenpfähle und Häuser hinter uns. Wir lassen die Läden und das Industriegelände und das Sägewerk hinter uns und passieren so etwas wie eine Grenze, vor der alles zur Stadt gehört und verständlich ist. Bäume, Felder, Freiflächen tauchen auf. Ich suche Schutz hinter seinem gekrümmten Rücken, schließe die Augen und überlege, wo er wohl mit mir hinfährt. Ich stelle mir Pferde im Motor vor, mit flatternden
Mähnen und dampfendem Atem aus geblähten Nüstern im Galopp. Einmal habe ich eine Geschichte über eine Nymphe gehört, die von einem Gott entführt und hinten auf einem Triumphwagen an einen dunklen, gefährlichen Ort gebracht wurde.
    Dass wir hier landen würden, hätte ich nicht gedacht: ein unbefestigter Parkplatz neben der Landstraße. Zwei große Laster stehen hier rum, ein paar Pkws und eine Hotdog-Bude.
    Adam zieht den Zündschlüssel ab, tritt den Ständer mit dem Fuß runter und nimmt seinen Helm ab.
    »Du solltest zuerst absteigen«,

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