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Bevor ich verbrenne

Bevor ich verbrenne

Titel: Bevor ich verbrenne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaute Heivoll
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dann zog sie sich die Strickjacke an und lief den kurzen Weg zu Teresa.
    Es tat gut, in den Wind und an die Sonne zu kommen. Das Haar wehte ihr aus der Stirn, der Morgen war frisch und sauber, und die ganze Welt schien zu strahlen. Alma und Teresa besuchten sich hin und wieder. Obwohl sie sehr verschieden waren, genossen sie ihre Gesellschaft. Sie unterhielten sich über alltägliche Dinge. Teresa kochte Kaffee, und wenn das Wetter es zuließ, saßen sie häufig auf der Treppe in der Sonne. Dann gingen sie wieder nach Hause. Heute ist genau so ein Tag, an dem man zusammen in der Sonne sitzen kann, dachte sie, doch als sie bei Teresa klopfte, kam niemand und öffnete.
    Der Alarm wurde ausgelöst, als sie auf der Treppe vor Teresas Tür stand. Plötzlich war er da, wie ein Wasserfall vom Himmel.
    Sie blieb auf der Treppe stehen, ganz kalt und starr, und sah alles. Dag stürmte aus dem Haus und stand ein paar Sekunden auf dem Hof, bevor er den Hügel hinaus zur Feuerwache rannte. Einige Minuten später bog der Feuerwehrwagen auf die Straße. Sirene. Blaulicht. Der Sommerwind in den Bäumen.
    Er fuhr in westlicher Richtung nach Breivoll.
    Ohne dass sie sich darüber im Klaren war, stand sie da und hielt sich die Ohren zu.
    Kurz darauf sah sie Ingemann allein auf den Hof kommen. Er trug den dunkelblauen Overall, der an der Brust schwarz vom Öl war, und wirkte ausgesprochen verwirrt. Er ging zu dem Pfosten mit dem Schalter, dann blieb er einfach stehen, während der Alarm direkt über ihm heulte. Alma wollte ihm zurufen, er solle dort weggehen, wenn er nicht stocktaub werden wollte. Doch Ingemann blieb vielleicht eine halbe Minute stehen, bevor er sich umdrehte und ins Haus ging. Und es dauerte nur einige Sekunden, bis er in seiner Feuerwehruniform wieder auftauchte, zu dem Pfosten ging und den Alarm ausschaltete. Mit einer kurzen, beinahe brutalen Bewegung. Als wäre der Himmel zusammengefallen und alles still geworden.

VII
    Ich war neunzehn, als ich von zu Hause auszog und allmählich zu mir selbst fand. Ich wollte in den ehrwürdigen Universitätsgebäuden im Zentrum von Oslo Jura studieren und musste über den Platz gehen, den die Statuen von P . A. Munch und Schweigaard regungslos und hochgelehrt überblickten. Ich wollte mein eigentliches Leben beginnen, ich wollte Student und ich wollte ein Intellektueller werden. Bevor ich aufbrach, besuchte ich Großmutter in Heivollen; ich durfte mir einen von Großvaters alten Mänteln borgen, außerdem hatte ich mir eine Brille besorgt, obwohl ich sie streng genommen überhaupt nicht brauchte. Ich hätte nie gewagt, zu Hause in Mantel und Brille herumzulaufen, es wäre undenkbar gewesen, aber in Oslo war alles anders. Dort konnte ich mit der Brille und in Großvaters altem Mantel herumlaufen, ohne dass irgendjemand Notiz davon nahm. Er hatte den Mantel so gut wie nie getragen, aber für mich war er mehr als gut genug. Abends ging ich allein aus und spürte, wie ein sonderbares Wohlgefühl sich in meinem Körper ausbreitete. Ich ging langsam über die ruhige Schwensens gate, an der ich ein kleines Zimmer gemietet hatte, bis St . Hanshaugen. Ich stopfte die Hände in die Taschen, die auf der Innenseite glatt und sehr viel größer waren, als man glauben mochte. Ich spürte, wie gut der Mantel an den Schultern saß, wie wohl ich mich in ihm fühlte. Überhaupt: Wie schön das Leben trotz allem war, wie sich letztendlich alles gefügt hatte. Ich überquerte den Ullevålsveien und ging weiter die schmalen Gassen hinauf, die sich zwischen den hohen, kahlen Bäumen schlängelten. Ich überquerte den Platz vor der leeren, offenen Freiluftbühne und ging an der Skulptur mit den vier Musikanten vorbei, bevor ich die letzte steile Treppe hinaufstieg, neben dem alten Brandturm stehen blieb und die Stadt überblickte. Glitzernd lag sie abends unter mir. Ich sah den dunklen Fjord; auf der einen Seite lag oben der weiße, leuchtende Holmenkollen, und auf der anderen Seite sah ich den rosafarbenen Rauch aus den Schornsteinen der Verbrennungsanlage von Økern steigen. Ich war so weit von zu Hause fort. Dennoch hatte ich das Gefühl, als würde ich in mir hören: Dies ist deine Stadt. Hier gehörst du hin. Hier sollst du viele Jahre wohnen, und hier sollst du der werden, der du eigentlich bist. Und in diesen Momenten, wenn ich in Großvaters Mantel dastand, mit tief in den Taschen vergrabenen Händen, spürte ich ganz deutlich, dass ich glücklich war.
    Bis eines Abends das Telefon

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