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Bevor ich verbrenne

Bevor ich verbrenne

Titel: Bevor ich verbrenne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaute Heivoll
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war: weiße Haare, hohle Wangen, rote Augenlider, die Stirn glatt und ohne Falten. Seine Haut hatte etwas Dünnes und Durchsichtiges, als würde er sich langsam auflösen. Sie fragte sich, ob sie diesen Mann wirklich kannte. War dies Olav, mit dem sie ihr ganzes Leben verbracht hatte? War dies der Mann, mit dem sie ihr einziges Kind bekommen hatte? War dies der Olav, der seinen fröhlichen Sohn hatte dahinsiechen und sterben sehen? War er es?
    Er war so weit weg und gleichzeitig doch so nah. Seine Hand fühlte sich warm und ruhig an. Sie hielt sie in ihrer, mit geschlossenen Augen hörte sie draußen auf der Straße die Autos vorbeifahren. Sie hörte die Vögel und gedämpfte Stimmen aus dem Stockwerk über ihr. Es waren fremde, ungewohnte Geräusche, obwohl sie sich nur fünfzig Meter von dem Ort aufhielt, an dem sie normalerweise ihre Vormittage verbrachte. Normalerweise setzte sie jetzt den Kaffeekessel auf. Oder sie schaltete das Radio ein und hörte die Sendung über Sørland, und wenn sie das Brot aufschnitt, kam Olav herein und setzte sich, mit aufgekrempelten Hemdsärmeln und Händen, die nach Seife rochen, aber von der Arbeit im Holzschuppen noch immer ein bisschen dreckig waren. Dann saßen sie jeder auf einer Seite des Tischs und aßen. Olav zog wie immer die Gardine zur Seite und blickte auf den Livannet oder den Kirschbaum, der noch in Blüte stand.
    Schließlich legte sie sich auf das zweite Bett, das man ihnen ins Zimmer gestellt hatte. Sie spürte, dass sie blutete, aber sie mochte nicht aufstehen. Das Blut lief und sie floss über. Es tat nicht mehr weh. Bevor sie einschlief, drehte sie den Kopf auf die Seite, ihre Lippen bewegten sich. Als wäre jemand leise ins Zimmer gekommen, hätte sich auf die Bettkante gesetzt, ihr die Hand auf die Stirn gelegt und ihren Namen geflüstert.

IV
    Was hatte Aasta über Johanna gesagt? Sie konnte nicht lachen und sie konnte nicht weinen. Sie konnte nichts.
    Und Alma. Was konnte sie?
    Sie ging auf ihren eigenen Füßen nach Hause. Die Uhr zeigte kurz nach vier in der Nacht. Es war hell geworden, die Vögel sangen, aber sie hörte es nicht. Hastig lief sie von Sløgedals Haus zurück, während das Feuer in der Scheune hinter ihr allmählich größer wurde. Sie hörte das Brausen der Flammen, aber sie drehte sich nicht um. An der Feuerwache ging sie den Hügel hinunter zum Haus, an der Werkstatt vorbei über den Hof. Sie ging die vier Treppenstufen hinauf und trat ein. Sie hängte Ingemanns Windjacke im Flur an den Haken. Ging ins Badezimmer und wusch ihr Gesicht lange und gründlich mit kaltem Wasser. Sie blickte nicht auf, sie wusch und schrubbte, bis sie kein Gefühl mehr in den Wangen verspürte. Sie löschte das Licht. Schloss die Tür. Dann ging sie leise auf den Dachboden und legte sich neben Ingemann. Sie hörte an seinem Atem, dass er wach war, aber sie sagte nichts. Reglos lagen sie nebeneinander, während die Vögel draußen immer lauter sangen. Sie blieben nebeneinander liegen, ohne sich zu rühren, als mehrere Autos sich näherten und vorbeisausten, die zu Sløgedals Haus wollten. Sie lagen reglos nebeneinander, bis es an ihrer Haustür klingelte. Sie stand sofort auf, ging hinunter und öffnete.
    Vor der Tür stand Alfred. Er roch nach Rauch.
    »Alma«, sagte er.
    »Du bist es?«, fragte sie.
    »Sløgedals Scheune ist abgebrannt.«
    »Ja«, sagte sie.
    »Alma«, sagte er. »Geht es dir gut?«
    »Ja, sicher«, erwiderte sie. »Alles in Ordnung.«
    Alfred zögerte.
    »Ist Ingemann zu Hause?«
    »Ja, sicher«, antwortete sie abwesend. Sie schaute an Alfred vorbei, hinaus in den klaren, kühlen Morgen, an dem die ersten Sonnenstrahlen golden auf die Höhenzüge im Westen schienen.
    »Kann ich mit ihm reden?«
    Sie ging auf den Dachboden und blieb in der Tür zur Schlafkammer stehen. Ingemann lag auf der Seite und atmete schwer, aber sie wusste, dass er nicht schlief.
    »Alfred ist hier«, sagte sie leise.
    »Sag ihm, ich kann nicht kommen«, antwortete er.
    »Sløgedals Scheune ist abgebrannt«, sagte sie.
    Er erwiderte nichts, aber sie spürte, dass er erstarrte. Sie blickte auf das ungemachte Bett, auf die Kleider, die über dem Stuhl hingen, die Tür zum Kleiderschrank, die einen Spalt offen stand, auf die Ärmel seines guten Anzugs und ihres Wintermantels, die heraushingen. Ingemann rührte sich noch immer nicht, aber sie sah, dass er zugehört hatte.
    »Ich sagte, Sløgedals Scheune ist abgebrannt.«
    »Ja, ich habe es gehört«, antwortete er.
    »Du

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