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Bevor ich verbrenne

Bevor ich verbrenne

Titel: Bevor ich verbrenne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaute Heivoll
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Österreich war ausgeschieden, ebenso Frankreich, Spanien und Schweden.
    Else stand auf, um das Radio auszuschalten, während Alfred den letzten Rest Kaffee trank und ins Wohnzimmer ging, um sich hinzulegen.
    In diesem Moment fiel ihr Blick auf den Mann, der über die Wiese kam. Sie erkannte ihn sofort, stutzte aber, weil er ihr so alt erschien. Ingemann kam allein über die Wiese. Es war der kürzeste Weg zwischen den beiden Häusern, obwohl er selten genutzt wurde. Er hatte die Sonne im Rücken und warf einen langen, mageren Schatten, der bestimmt viermal größer war als er selbst. Als wären zehn Jahre vergangen, ohne dass Else es bemerkt hätte. Zehn Jahre waren vergangen, und Ingemann schien innerhalb weniger Tage weit über siebzig Jahre alt geworden zu sein. Es lag an der Art, wie er ging. Oder hatte es etwas mit dem Rücken zu tun, dem gebeugten Nacken, vielleicht den Armen, die beim Laufen langsam pendelten? Es war ein alter Mann, der da auf sie zukam.
    Alfred und Else blieben ruhig in der Küche sitzen und warteten, bis sie draußen im Flur die Klingel hörten. Dann erhob sich Alfred, ging an die Haustür und öffnete.
    »Na, du kommst mal vorbei?«, sagte er.
    Zunächst brachte Ingemann kein Wort heraus. Er blieb einfach in seinem dunklen Overall stehen, den er normalerweise bei den Einsätzen trug, der nach altem Rauch roch und wie eine Uniform aussah. Es dauerte einige Sekunden, dann streckte er die Hand aus.
    »Sieh dir das an«, sagte er.
    Alfred erkannte sofort den weißlackierten Verschluss eines Jerry-Kanisters der Feuerwehr. Erst vor wenigen Stunden hatte er in einigen Kanistern Benzin nachgefüllt. Ingemanns Hand war schwarz vor Ruß, der Verschluss war weiß.
    »Ich hab e … ich habe ihn gefunden«, sagte Ingemann.
    »Ah ja?«, erwiderte Alfred.
    »Und ich bin gekommen, um dir das zu sagen.«
    »Was willst du mir sagen?«, fragte Alfred nach und sah seinen alten Nachbarn an, der in der warmen Abendsonne stand.
    »Dass ich weiß, wer es ist.«
    Alfred musste ihn stützen, als er sich auf den Stuhl unter der Wanduhr setzte. Else brachte ihm ein Glas Wasser. Ingemann trank einen Schluck, den Rest ließ er stehen. Er stank nach Asche und Ruß. Der Kanisterdeckel lag noch auf der Treppe, Alfred holte ihn. Ingemann blieb auf dem Stuhl unter der Wanduhr sitzen und drehte den Verschluss in den Händen. Lange blieb es still, nur das Geräusch des Deckels war zu hören, dann begann er zu erzählen. Er war zu Sløgedals heruntergebrannter Scheune gegangen und hatte sich dort allein ein wenig umgesehen. Er hatte am Ende der Scheunenauffahrt gestanden und über die Ruine geblickt, genau wie sie einige Stunden zuvor mit Reinert und Bjarne dort gestanden hatten. Dann hatte er ihn plötzlich gesehen, berichtete er. Er verstand nicht, warum vor ihm niemand den Verschluss bemerkt hatte. Er lag doch deutlich sichtbar direkt an der Scheune im Gras. Er war noch eine Weile am oberen Ende der Scheunenauffahrt stehen geblieben und hatte gegrübelt, warum der Benzindeckel dort unten im Gras lag. Er hatte den leichten Sommerwind im Gesicht gespürt, den Kopf gehoben und auf die Hängebirke geblickt, die direkt an der Scheune stand. Die untersten Zweige waren abgebrannt, an anderen Stellen waren nur noch schwarze, abgebrochene Stumpen geblieben, die hohlen Knochen ähnelten. Das spärliche Laub, das noch hing, war braun und verwelkt und raschelte trocken im Wind.
    Und plötzlich hatte er verstanden.
    Das heißt: Er verstand es und gleichzeitig verstand er es auch wieder nicht, aber letztlich lief es aufs Gleiche hinaus.
    Das erzählte er Alfred und Else. Ingemann legte den Kopf in den Nacken und stieß gegen die Wand unter der Uhr. Er schloss die Augen und öffnete sie, sie waren schmal, dunkel und durch und durch wissend. Und doch blieben sie ganz allein mit all ihrem Wissen.
    »Jetzt habe ich es dir gesagt, Alfred, jetzt sei bitte so nett und geh zur Polizei. Ich schaffe es nicht.«

VI
    Teresa fand sie. Sie ahnte, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Und sie war sicher, dass Alma im Hause sein musste, sie hatte sie vom Fenster aus hineingehen sehen. Trotzdem öffnete niemand die Tür, als sie klingelte. Schließlich fasste sie an die Klinke. Die Tür war offen. Sie rief in den Flur. Auch jetzt bekam sie keine Antwort. Vorsichtig betrat sie die Wohnung. In der Küche war niemand. Die Wanduhr tickte ungestört, eine einsame Kaffeetasse stand auf dem Tisch, ein bisschen Abwasch in der Spüle, das Küchenhandtuch hing

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