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Bevor ich verbrenne

Bevor ich verbrenne

Titel: Bevor ich verbrenne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaute Heivoll
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glatt und fühlten sich eiskalt an. Blutige, fleischige Stücke waren vermischt mit Knorpeln und hohlen Knochen. Wir sammelten alles sorgfältig ein, bis die Wanne voll war. Vater hob sie an, und ich sah, dass sie sehr schwer war. Ich musste ihn stützen, als wir die glatte Scheunenauffahrt hinuntergingen; dann standen wir in der Dunkelheit, dort, wo sie die Elchschädel, die Felle und Knochen hingeworfen hatten. Der Kopf des Elches, den Vater geschossen hatte, lag auch da. Das Auge starrte mich noch immer an, aber es hatte seinen Glanz verloren. Jetzt war es vollkommen schwarz. Wir gingen zum Auto, und auf dem Weg dorthin hatte ich das Gefühl, als würde uns das schwarze Auge folgen und sehen, wer wir eigentlich waren.
    Wen sehen wir, wenn wir uns selbst sehen?
    Es vergehen drei, vielleicht vier Sekunden.
    Und dann.

II
    Einige Zeit nach Vaters Tod besuchte ich Großmutter und erzählte von dem Herbsttag, an dem er den Elch schoss. Wir hatten beide das Bedürfnis, über ihn zu reden; über unsere Erinnerungen, wie er gewesen war, was er gesagt und getan hatte, wer er eigentlich war. Ich erzählte von dem seltsamen Gefühl, mit jemandem etwas getan zu haben, das keiner von uns beiden wirklich verstand, was wir aber dennoch gemeinsam gemeistert hatten. Vater hatte schließlich nie zuvor einen Elch geschossen, und ich war damals erst zehn Jahre alt. Er hatte nie zuvor einen Elch geschossen, und er hat es auch nie wieder getan. Aber dieses eine Mal tat er es mit einer einzigen Kugel, direkt ins Herz.
    Als ich geendet hatte, saß sie vollkommen reglos auf ihrem Stuhl, und in ihrem Auge glitzerte es wie in einem Diamanten. Dann sagte sie: »Davon habe ich noch nie gehört.«
    »Nein«, antwortete ich, »aber jetzt weißt du es.«
    Als ich gehen wollte, sagte ich: »Ich habe übrigens angefangen zu schreiben.«
    »Zu schreiben?«
    »Ja. Ich will Schriftsteller werden.«
    Sie hielt einen Moment inne, dann sagte sie: »Du darfst dein Leben nicht zerstören, auch wenn dein Vater tot ist.«
    Ich spürte, wie eine heftige Wut in mir aufstieg, doch ich konnte mich beherrschen.
    »Ich zerstöre mein Leben nicht«, antwortete ich kühl.
    »Niemand kann vom Schreiben leben«, erklärte sie.
    Ich erwiderte nichts. Ich stand in dem kalten Flur ihres Hauses in Heivollen und dachte, sie würde es verstehen. Darum hatte ich es ihr doch erzählt, weil sie selbst schrieb.
    »Du sollst doch Anwalt werden«, sagte sie in einem munteren Tonfall, offenbar, um mich auf vernünftigere Gedanken zu bringen.
    »Ich werde kein Anwalt«, antwortete ich ruhig und sah sie mit einem festen Blick an, und ich glaube, in diesem Augenblick wurde ihr klar, dass ich es ernst meinte.
    »Kannst du denn schreiben?«, fragte sie verwirrt.
    Ich zog einen Umschlag heraus und gab ihn ihr. Darin lag der Text, den ich an dem grauen Vormittag in Vaters Auto geschrieben hatte. Ich hatte ihn auf der Maschine ins Reine geschrieben und die Seiten mehrfach gefalzt. Nun hielt sie die Seiten in der Hand, und ich ging zur Tür. Sie begleitete mich bis auf die Treppe und blieb dort stehen, als ich den Wagen anließ und auf die Straße bog. Und als ich davonfuhr, drehte ich mich um und sah, dass sie noch immer nicht ins Haus gegangen war.
    Seither hatte sie den Text mit keinem Wort erwähnt, doch als ich nach ihrem Tod die Wohnung auflöste, fand ich den Umschlag unter ihren Papieren. Sie hatte ihn geöffnet und die Seiten auseinandergefaltet. Sie hatte gelesen und vielleicht verstanden. Aber nichts gesagt.
    Doch, sie hatte verstanden.

III
    Zunächst leugnete er alles. Er saß auf demselben Stuhl, auf dem Alfred einige Stunden zuvor gesessen hatte, und erklärte detailliert, wie er sich an den Löscharbeiten beteiligt hatte. Erst läutete das Telefon. Danach der Alarm. Dann wurde ausgerückt. Die Pumpen, die Schläuche, das Wasser, die Flammen, das Haus, all die Menschen, die zusammenliefen, all die Gesichter, die hell erleuchtet wurden und gleichsam sämtliche Züge verloren. Oder war es umgekehrt: Alle Züge wurden scharf. Kannte er einige von ihnen? Nein. Doch. Vielleicht. Er hatte keine Zeit gehabt, um genauer hinzusehen. Kannte er die Leute, deren Häuser er angezündet hatte? Nein. Kannte er Olav und Johanna Vatneli? Nein. Anders und Agnes Fjeldsgård? Nein. Das heißt: Er wusste, wer sie ware n – Alma putzte alle vierzehn Tage in ihrem Haus. Außerdem: Die Gemeinde war ja klein, jeder kannte jeden.
    Er wurde gefragt, ob er Mitglied der Feuerwehr sei. Er beugte sich

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